Eine Woche Grenzkontrollen | WDR Aktuell

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Debatte um Migration nach Deutschland: Das sagen die Zahlen

Stand: 11.10.2024, 11:17 Uhr

Aktuell ist Migration das beherrschende Thema in Deutschland. So sind die offiziellen Zahlen zur Flucht nach Deutschland.

Von Jörn KießlerJörn Kießler und Julian Budjan

Vor allem seit den Wahlen in Sachsen und Thüringen ist Migration das beherrschende Thema in der Politik. Fast alle deutschen Parteien wollen mittlerweile strengere Asyl-Regeln und diese auch konsequenter durchsetzen lassen. Die Bundesregierung hat bereits auf die Debatte reagiert und lässt seit Mitte September verstärkt stichpunktartige Grenzkontrollen durchführen.

Mit dieser Maßnahme sollen vor allem unerlaubte Einreisen verhindert werden. Diese liegen vor, wenn ein Staatsangehöriger eines Nicht-EU-Landes keinen Aufenthaltstitel - zum Beispiel ein Visum - oder keinen Pass besitzt. Außerdem bei Personen, für die eine Einreisesperre gilt, oder die Deutschland nicht betreten dürfen.

Daten-Recherche zur Migration

Doch wie ist überhaupt die aktuelle Lage? Wie viele Menschen kommen in die EU, nach Deutschland und NRW? Wer von ihnen stellt einen Asylantrag? Wir haben die offiziellen Daten von Statistikbehörden und Polizei für einen Überblick ausgewertet.

Wie viele Menschen suchen Asyl in Europa?

Im Jahr 2023 wurden laut UN-Flüchtlingskommisariat (UNHCR) insgesamt 1.061.283 Asylanträge in den 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (EU) gestellt. Davon waren 1.012.386 Erstanträge und 48.897 Folgeanträge.

351.915 dieser Anträge wurden nach Informationen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in Deutschland gestellt. Das entspricht mehr als einem Drittel. 22.795 davon waren Folgeanträge. Seit Anfang dieses Jahres bis Ende August beantragten bereits 174.369 Menschen in Deutschland Asyl.

Obwohl Deutschland in absoluten Zahlen auch im ersten Halbjahr 2024 die meisten Asylbewerber aufgenommen hat, liegen wir im europäischen Vergleich auf Platz 5 - wenn man die Asylsuchenden in Verhältnis zur Einwohnerzahl setzt. Hier belegt das kleine Zypern mit gerade einmal 933.505 Einwohnern den ersten Platz.

Wie viele Asylbewerber kommen nach NRW?

Im Jahr 2023 wurden mehr als 20 Prozent der Asylbewerber und -bewerberinnen, die nach Deutschland kamen, NRW zugewiesen. In Summe waren das 67.174 Menschen. Von den insgesamt 174.369 Menschen, die bis Ende August 2024 Asyl in Deutschland beantragt haben, kamen 32.059 nach Nordrhein-Westfalen. Das entspricht etwas mehr als 18 Prozent.

Woher kommen die meisten Geflüchteten?

Die meisten Geflüchteten, die aktuell nach Deutschland kommen, stammen aus der Ukraine. Allein 2023 kamen nach Informationen des Statistischen Bundesamtes mehr als 283.000 ukrainische Staatsbürger nach Deutschland - im selben Zeitraum verließen aber auch mehr als 170.000 Ukrainer und Ukrainerinnen wieder das Land. Wegen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine gelten für sie besondere Regeln. Unter anderem müssen Ukrainer keinen Asylantrag stellen, um in Deutschland bleiben zu können.

Anders sieht das bei Geflüchteten aus anderen Ländern aus. Im ersten Halbjahr 2024 beantragten nach Informationen des BAMF insgesamt 121.416 Menschen erstmals Asyl in Deutschland. Mehr als die Hälfte von ihnen kam aus Syrien, Afghanistan und der Türkei.

Wie viele Geflüchtete versuchen, unerlaubt einzureisen?

Viele der Menschen, die nach Deutschland kommen, reisen unerlaubt ein. Das liegt vor allem daran, dass die meisten Menschen kein Visum für eine reguläre Einreise in die EU bekommen, auch wenn in ihren Ländern Krieg oder Armut herrschen. Sobald sie jedoch an der Grenze oder in Deutschland sind, können sie Asyl beantragen. Tun sie das, können sie erst einmal nicht zurückgewiesen werden.

Denn laut deutschem und europäischem Recht muss vorher jeder Asylantrag geprüft werden. Wird dabei festgestellt, dass die Person kein Recht auf Asyl hat, beispielsweise weil sie bereits in einem anderen Land einen Antrag gestellt hat oder nach dem Gesetz nicht schutzbedürftig ist, kann sie abgeschoben werden. Wenn eine Person bereits in einem anderen EU-Land registriert wurde, ist nach dem sogenannten Dublin-Verfahren dieses andere Land für die Durchführung des Asylverfahrens verantwortlich. Dahin muss die Person überstellt, also gebracht, werden.

In der Praxis scheitert die Überstellung aber häufig. Von knapp 75.000 deutschen Übernahmeersuchen 2023 wurden zwar drei Viertel bewilligt, aber nur 5.000 Personen überstellt. Das hat mehrere Gründe:

  • Einige Staaten weigern sich, die Menschen zurückzunehmen (25 Prozent der Fälle)
  • Es gibt Probleme bei der Bearbeitung durch die Ausländerbehörden (20 Prozent)
  • Einige Menschen tauchen unter, um der Überstellung zu entgehen (12 Prozent). Nach Ablauf von 18 Monaten ist dann nämlich Deutschland für das Asylverfahren zuständig.

Dazu kommt die Möglichkeit, dass abgelehnte Asylsuchende freiwillig ausreisen. Einige bekommen dafür von Bund und Ländern finanzielle Unterstützung. Rund 30.000 Menschen waren das im Jahr 2023 - fast doppelt so viel, wie abgeschoben wurden (16.400). Viele Menschen ohne Aussicht auf Asyl dürfen aus anderen humanitären oder rechtlichen Gründen nicht abgeschoben werden.

Bei den illegalen Einreisen an der Grenze decken sich die drei meistvertretenen Nationalitäten mit jenen, die die meisten Asylanträge stellen: Syrer, türkische Staatsbürger und Afghanen.

Ihre, aber auch die Zahl der Menschen aus anderen Ländern, die von der Bundespolizei beim illegalen Übertreten der Grenze aufgegriffen wurden, ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Im Jahr 2021 waren es insgesamt 57.637 Personen. Im vergangenen Jahr lag die Zahl bereits bei 127.549. In den ersten sieben Monaten des aktuellen Jahres griffen die Beamten schon mehr als 49.000 illegal Einreisende auf. Seit 2021 geschieht das vor allem an den Grenzen zu Polen, Österreich, der Schweiz und Tschechien.

Wie viele der Geflüchteten wurden zurückgewiesen?

Trotz der Rechtslage, die zunächst eine Prüfung jedes einzelnen Asylgesuchs vorschreibt, werden an den deutschen Grenzen immer häufiger Menschen abgewiesen. Aus einer Anfrage der AfD-Fraktion im Bundestag an die Bundesregierung geht hervor, dass die Bundespolizei 2022 insgesamt 19.142 Menschen beim Versuch zurückwies, nach Deutschland einzureisen. Im Jahr 2023 waren es laut Bundespolizei 29.270. In den ersten acht Monaten 2024 lag die Zahl bei 46.203.

Wie versuchen Geflüchtete über die Grenze zu gelangen - und welche Rolle spielen Schleuser?

Bei fast jeder dritten an der Grenze aufgegriffenen Person (von 126.000) gab es 2023 Hinweise auf die Hilfe von Schleppern. Laut Bundespolizei gelangten 42 Prozent der Geschleusten über Polen, etwa jeder dritte über Österreich und etwa jeder fünfte Geschleuste aus Tschechien nach Deutschland.

Sie waren überwiegend zu Fuß (37 Prozent), in Kleintransportern (26 Prozent) oder in Autos (24 Prozent) unterwegs. Die Bundespolizei vermutet, dass viele der Menschen, die zu Fuß unterwegs waren, vorher von Fahrzeugen abgesetzt worden seien.

Dabei ist die Zahl der lebensgefährlichen sogenannten Behältnisschleusungen dramatisch gestiegen. Das sind Schleusungen über Kühl- oder Warentransporter. Solche Transporte sind häufig mit Sauerstoffmangel, Dehydrierung, Unterkühlung oder erhöhter Verletzungsgefahr bei Unfällen verbunden.

Im Vergleich zum Jahr 2022 haben sich 2023 die von der Bundespolizei bemerkten Fälle auf 1.200 mehr als verdoppelt. Gleichzeitig wurden hierbei mit 17.500 Personen fast fünfmal so viele Menschen gefunden wie im Vorjahr.

Auf welchen Wegen kommen die Geflüchteten nach Deutschland?

Wie viele Personen, die versuchen illegal nach Deutschland einzureisen, an welcher Grenze aufgegriffen werden, hängt vor allem mit den Fluchtrouten zusammen, die die Flüchtenden nutzen. Ändern diese sich, beispielsweise weil sie stärker kontrolliert werden, kommen die Asylsuchenden auch an einer anderen deutschen Grenze an.

So verschob sich beispielsweise die meistgenutzte Fluchtroute von Menschen aus Syrien über die Jahre immer weiter nach nach Norden. Wurden 2021 noch die meisten Syrer, die unerlaubt einreisten, an der österreichischen Grenze aufgegriffen, war dies 2022 an der tschechischen Grenze der Fall. Im Jahr 2023 versuchten mehr als 40 Prozent der aufgegriffenen Syrer illegal über die polnische Grenze nach Deutschland zu kommen.

Laut Bundespolizei versuchen türkische Staatsbürger besonders über Österreich und die Schweiz nach Deutschland zu gelangen. Afghanen reisen demnach meist über die Schweiz und Polen ein. Ein Drittel der insgesamt 32.800 Personen, die 2023 versuchten über die polnische Grenze unerlaubt nach Deutschland zu gelangen, kamen laut Bundespolizei über die Belarus-Route.

Polen und die Europäische Union werfen Russland und Belarus seit einigen Jahren den Aufbau und die Finanzierung von Schleppernetzwerken vor. Sie sollen Flüchtenden gezielt dabei helfen, unerlaubt in die EU zu kommen.

Wie viele Flüchtende kommen aktuell nach Europa und wie verändern sich die Fluchtrouten?

Laut Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen kamen zwischen Januar und August 2024 deutlich weniger Menschen über das Mittelmeer nach Europa als im Vorjahr. Waren es 2023 in den ersten acht Monaten etwa 160.000, ist die Zahl der Ankommenden auf 115.000 gesunken.

In diesem Zeitraum kamen die meisten Menschen über die sogenannte zentrale Mittelmeer-Route in Italien an: 41.000 Menschen bedeuten viel weniger als 2023 (115.000). Über die westliche Mittelmeer-Route kamen in Spanien und vor allem auf den kanarische Inseln 35.000 Menschen an, das sind deutlich mehr als noch 2023 (21.500), die Fluchtrouten verändern sich. Auch die östliche Mittelmeer-Route über Griechenland ist 2024 höher frequentiert als noch 2023: Mit 28.400 sind es fast doppelt so viele, die über das Meer ankamen.

Landkarte zeigt häufige Fluchtrouten nach Europa

Die großen Fluchtrouten nach Europa: Wie oft sie genutzt werden, verschiebt sich.

Während auf dem weiteren Weg an den Landesgrenzen die illegalen Einreisen über Belarus und Polen zuletzt stark gestiegen sind, scheinen die Zahlen auf der Westbalkan-Route zurückzugehen, so das UN-Flüchtlingshilfswerk. In den ersten vier Monaten dieses Jahres wurden in Serbien nur 6.600 Ankünfte registriert – 71 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum.

Unsere Quellen:

  • Bundespolizei
  • Bundesministerium für Migration und Flüchtlinge (BAMF)
  • Bundesministerium des Inneren und für Heimat (BMI)
  • UN-Flüchtlingskommisariat (UNHCR)
  • Kleine Anfrage der Bundestags-Gruppe "Die Linke" zu Zurückweisungen an deutschen Binnengrenzen (09/2024)
  • Statistisches Bundesamt