Migrationstreffen in Berlin
Aktuelle Stunde . 03.09.2024. 42:48 Min.. UT. Verfügbar bis 03.09.2026. WDR. Von Kristina Klusen.
Verschärfung der Migration: Was die Parteien wollen
Stand: 08.09.2024, 16:31 Uhr
Die Ampel in Berlin hat einen Gesetzentwurf zur Verschärfung der Migration vorgelegt. Was die Regierung plant, geht der Opposition nicht weit genug. Ein Überblick.
Die Bundesregierung macht Tempo. Vor nicht einmal einer Woche haben sich Vertreter der Ampel-Koalition, der Union und der Bundesländer zu Beratungen getroffen, wie die irreguläre Migration nach Deutschland eingedämmt werden kann. Jetzt liegt ein Gesetzestext vor, der möglichst schnell vom Bundestag beschlossen werden soll.
"Wir haben geliefert", sagt Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) mit Blick auf den Gesetzentwurf. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) ergänzt: "Jetzt liegt es in den Händen des Parlaments, all das schnell auf den Weg zu bringen." Er hält eine erste Beratung im Bundestag schon in der kommenden Woche für möglich.
Union besteht auf Zurückweisungen von Flüchtlingen
Inhaltlich geht es um verschiedene Gesetzesverschärfungen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) möchte sie im Schulterschluss mit den Oppositionsparteien CDU und CSU beschließen und damit einen möglichst großen Konsens in den Fragen Migration und Sicherheit erreichen. Auch in der Bevölkerung hat die Migrationspolitik an Bedeutung gewonnen.
Für über ein Viertel der Menschen hierzulande ist die Migration nach Deutschland ein Thema, das sie beschäftigt. Das zeigt das Politbarometer der Forschungsgruppe Wahlen - demnach bewerteten Mitte August bei einer Umfrage rund 27 Prozent der Befragten die Frage um das Thema Migration, Asyl und Ausländer als wichtigstes gesellschaftliches Problem.
Der Union gehen die Maßnahmen der Ampel-Regierung nicht weit genug. CDU-Chef Merz verlangt Grenzkontrollen und die Zurückweisung von Flüchtlingen an den deutschen Grenzen. Seine Forderung macht er zur Bedingung für die Teilnahme der Union an einem weiteren Migrationsgespräch von Regierung, Opposition und Ländern am kommenden Dienstag.
Die Positionen im Überblick:
Das will die Bundesregierung
Nach dem mutmaßlich islamistisch motivierten Messeranschlag von Solingen hatte die rot-grün-gelbe Bundesregierung kurzfristig ein Paket mit Maßnahmen geschnürt, das Grundlage für das Treffen im Bundesinnenministerium sein sollte. Zu den Maßnahmen zählen:
- eine härtere Gangart bei der Rückführung abgelehnter Asylbewerber in ihre Herkunftsländer
- Schritte zur entschiedeneren Bekämpfung des islamistischen Terrors
- Verschärfungen beim Waffenrecht
Vorgesehen ist dabei etwa, dass Schutzsuchende, für die ein anderes europäisches Land zuständig ist, in Deutschland keine Leistungen mehr erhalten - wenn dieses Land zur Rücknahme bereit ist (Dublin-Fälle). Zudem soll es ein Verbot von Springmessern und einen leichteren Ausschluss vom Schutz in Deutschland für Migranten geben, die eine Straftat begangen haben.
Allerdings: Damit das Sicherheitspaket auch den Bundesrat passiert und auf einem breiten politischen Willen fußt, braucht es die Zustimmung der Union - und die erwartet von der Ampel-Koalition deutlich weitreichendere Schritte als im "Sicherheitspaket" vorgesehen.
Das will die Union
CDU und CSU wollen, dass weniger Asylbewerber überhaupt ins Land kommen. CDU-Chef Friedrich Merz sagte kürzlich bei einem Auftritt im Raum Osnabrück, nicht Abschiebungen seien das eigentliche Problem, sondern der irreguläre Zuzug.
Hessens Innenminister Roman Poseck (CDU) als Unionsländer-Vertreter zu den Forderungen der Union:
- mehr Grenzkontrollen und mehr Zurückweisungen an den Grenzen
- Stopp für Aufnahmeprogramme schutzbedürftiger Menschen direkt aus ihren Herkunftsregionen
- Stopp des Familiennachzugs für so genannte subsidiär Schutzberechtigte - eine Gruppe, in die viele Bürgerkriegsflüchtlinge fallen
Thorsten Frei (CDU), Andrea Lindholz (CSU) und Roman Poseck (CDU) bei Treffen zur Migrationspolitik
Zudem hat laut Poseck die Ministerpräsidentenkonferenz (unter Vorsitz Hessens) Asylverfahren außerhalb Europas vorgeschlagen. Hier prüft die Bundesregierung allerdings noch die Machbarkeit. Kanzler Olaf Scholz (SPD) hatte Ergebnisse dieser Prüfungen bis Dezember in Aussicht gestellt. CDU-Chef Merz hat in der Migrationsdebatte sogar die Option einer nationalen Notlage ins Gespräch gebracht, um Menschen so an den Grenzen zurückweisen zu können.
Allerdings: Deutschland kann seine Grenzen als Mitglied des Schengenraums nicht einfach so und zeitlich unbefristet kontrollieren. Wenn Deutschland das trotzdem gegen gültiges EU-Recht durchsetze, öffne dies das "Tor zum Chaos", sagt der Migrationsforscher Gerald Knaus dem WDR. Möglich ist eine Grenzkontrolle nur zeitlich begrenzt bei bestimmten Ereignissen - wie zum Beispiel den Olympischen Spielen. Und auch das muss bei der EU-Kommission begründet werden.
Das will die AfD
Die AfD ist nicht Teil des Treffens, da sie nicht Teil einer Regierung ist. AfD-Fraktionschefs Alice Weidel und Tino Chrupalla äußerten keine großen Erwartungen an die Bund-Länder-Runde. "Es ist zu befürchten, dass sich daran auch nach dem heutigen Treffen nichts ändern wird und dass den Bürgern mit einer PR-Show erneut Sand in die Augen gestreut wird", erklärten sie. Ihre Forderungen:
- eine grundlegende Reform des Asylrechts
- einen sofortigen Stopp der Aufnahme, Einreise und Einbürgerung von illegal eingereisten Migranten
- einen effektiven Grenzschutz mit Zurückweisungen illegal einreisenden Migranten
Allerdings: Abgesehen davon, dass die AfD für ihre Forderungen keine parlamentarische Mehrheit finden dürfte: Eine grundlegende Reform des Asylrechts kann Deutschland innerhalb der EU nicht im Alleingang machen. Und es ist auch keine Lösung, das EU-Recht auszusetzen. Wenn Deutschland sich nicht mehr an die europäischen Regeln halte, stehe es letztlich ohne Partner da, sagte Migrationsforscher Gerald Knaus im ZDF. Dann sei auch keine regelkonforme Rücknahme von Migranten mehr möglich.
Das will das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW)
Sahra Wagenknecht
Auch das BSW ist nicht beim heutigen Treffen vertreten gewesen - da es ebenfalls bislang noch nicht Teil einer Regierung ist. Die Gründerin und Vorsitzende des BSW, Sahra Wagenknecht, fordert von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) eine öffentliche Abkehr von der Flüchtlingspolitik seiner Vorgängerin Angela Merkel (CDU). "Der Bundeskanzler sollte das Stoppsignal an die Welt senden: Die Willkommenskultur ist vorbei. Wir schaffen es nicht. Macht Euch nicht auf den Weg!“, so Wagenknecht. Zu ihren Forderungen zählen:
- angeordnete Abschiebungen durchsetzen
- abgelehnten Asylbewerbern nach einer kurzen Übergangsfrist alle Leistungen streichen
- Stopp von Entwicklungsgeldern für Staaten, die Staatsbürger nicht zurücknehmen
Allerdings: Zumindest die Forderung, abgelehnten Asylbewerbern nach einer kurzen Übergangsfrist alle Leistungen zu streichen, dürfte nicht durchsetzbar sein. Das Bundesverfassungsgericht hat Einschnitten bei Leistungen für Asylbewerber in mehreren Urteilen enge Grenzen gesetzt. So hielten die Verfassungsrichter bereits 2012 fest, nach Artikel 20 des Grundgesetzes gebe es ein Grundrecht auf die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. "Das Grundrecht steht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, gleichermaßen zu", hieß es in den Leitsätzen des damaligen Urteils.
Unsere Quellen:
- Forschungsgruppe Wahlen e.V.
- Nachrichtenagentur dpa
- Nachrichtenagentur Reuters
- Nachrichtenagentur KNA
- Interview mit Migrationsforscher Gerald Knaus in der Aktuellen Stunde