Oft nicht praktikabel: Die Probleme bei der Abschiebung
Aktuelle Stunde . 28.08.2024. 36:32 Min.. Verfügbar bis 28.08.2026. WDR. Von Julius Hilfenhaus.
Nach Solingen-Anschlag: So soll Migrationspolitik verschärft werden
Stand: 28.08.2024, 17:11 Uhr
Nach dem Anschlag von Solingen wird über eine Verschärfung der Asyl- und Migrationsgesetze diskutiert. Diese Vorschläge gibt es.
Von Ingo Neumayer
Der 26-jährige Syrer, der am Freitagabend in Solingen drei Menschen mit einem Messer tötete und mehrere schwer verletzte, hätte eigentlich im Juni 2023 nach Bulgarien gebracht werden sollen. Doch das passierte nicht. Der Mann wurde von den Behörden nicht angetroffen, weitere Versuche, ihn aufgrund der Bestimmungen des Dublin-III-Abkommens nach Bulgarien zu fliegen, fanden nicht statt.
Warum, ist derzeit unklar. NRW-Integrationsministerin Josefine Paul (Grüne) räumte zwar Versäumnisse bei der fehlgeschlagenen Abschiebung des mutmaßlichen Täters ein, kritisierte aber gleichzeitig die derzeitigen Regelungen: "Dieses Überstellungssystem funktioniert so nicht", sagte sie dem WDR.
Kritik an den aktuellen Asyl- und Flüchtlingsregelungen und Vorschläge, wie man die Situation verbessern könnte, gibt es derzeit reichlich.
CDU: Grenzschließung als "nationale Notlage"
CDU-Chef Friedrich Merz hatte zunächst einen generellen Aufnahmestopp für Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan gefordert. Hinweise, dass man dafür das Grundgesetz ändern müsse, konterte Merz mit dem Vorschlag, über Grundgesetzänderungen könnte man nachdenken.
Dem erteilte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) jedoch eine Absage: "Das Individualrecht auf Asyl bleibt erhalten. Das steht in unserem Grundgesetz. Und das wird niemand mit meiner Unterstützung infrage stellen." Merz relativierte daraufhin seine Forderung und sprach nur noch von einem "faktischen Aufnahmestopp". Eine Änderung des Asylrechts im Grundgesetz fordere man nicht.
Da die Dublin-Regelung nicht mehr eingehalten werde, brachte der CDU-Vorsitzende zudem die Möglichkeit ins Spiel, dass Deutschland eine "nationale Notlage" erklären könne, um Menschen an seinen Grenzen zurückzuweisen.
Scholz und Merz wollen Migrationspolitik gemeinsam neu regeln
Aber ist das wirklich möglich? Der Europa- und Verfassungsrechtler Volker Boehme-Neßler nannte den Vorschlag in der "Bild" eine "drastische, aber zumindest kurzfristig sinnvolle Maßnahme". Deutschland könne so die Flüchtlingszahlen begrenzen und gleichzeitig Druck innerhalb der EU ausüben, ein funktionierendes Verteilungssystem zu schaffen. Allerdings würde Deutschlands Alleingang längerfristig die Asyl-Situation innerhalb der EU verschlimmern.
Scholz signalisierte am Mittwoch Bereitschaft, mit der CDU zusammenzuarbeiten, um Neuregelungen in der Migrationspolitik umzusetzen.
Werden bestehende Gesetze nicht angewendet?
Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) lehnte die Forderung der Opposition nach Erklärung einer Notlage ab. Die Folge wäre, dass dann andere Länder mit der Problemlage allein gelassen würden. "So funktioniert Europa nicht", sagte er.
Habeck räumte ein, dass es im Asylrecht das Problem gebe, Recht durchzusetzen. "Insgesamt zeigen die Zahlen, dass bei Abschiebungen eklatante Lücken klaffen zwischen jenen, die rechtlich verlassen müssen, und jenen, die das Land tatsächlich verlassen", sagte er in einem Instagram-Post.
Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) sagte, es treibe "die Leute in den Wahnsinn, dass wir ständig über Gesetzesänderungen reden, aber die bestehenden Gesetze noch nicht mal zur Anwendung bringen."
Bund nimmt Länder in die Pflicht, die Länder den Bund
Ähnlich argumentiert Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Sie sieht für eine konsequentere Abschiebung von Ausreisepflichtigen die Länder in der Pflicht. "Gesetzlich haben wir bereits umfassende neue Grundlagen für mehr Rückführungen geschaffen, damit sich Ausreisepflichtige der Abschiebung nicht mehr entziehen können", sagte sie den Zeitungen der Funke Mediengruppe gesagt. "Entscheidend für den Erfolg ist vor allem, dass die neuen Befugnisse und Regelungen auch vor Ort in den Ländern umgesetzt werden."
In den Ländern wiederum macht man den Bund verantwortlich. So bemängelte NRW-Integrationsministerin Paul, dass es zu wenig Abschiebeflüge gebe. Man könne deutschlandweit täglich nur zehn Ausreisepflichtige nach Bulgarien überstellen, sagte sie dem WDR.
Das liege an den Modalitäten, die von Bulgarien festgelegt würden. Diese Bedingungen werden vom Bund mit dem aufnehmenden Land ausgehandelt und erforderten laut Bundeskanzler Scholz häufige Reisen, lange Gespräche, nachdrückliche Briefe. "Das ist so ein bisschen Sisyphos", sagte Scholz laut "Spiegel" am Dienstag bei einer Wahlkampfveranstaltung in Thüringen.
2023 kam es aus NRW zu 13.865 Rücknahmeersuchen nach den Dublin III-Regeln, denen 9.598 mal zugestimmt wurde. Letztendlich kam es laut Bundesamt für Migration aber nur zu 1.112 Abschiebungen - eine Quote von acht Prozent.
Unsere Quellen:
- Nachrichtenagenturen dpa, EPD, AFP
- Bild
- Handelsblatt
- Funke Mediengruppe
- Spiegel