Mitte-Studie: Distanz zur Demokratie

Verfügbar bis 21.09.2025 Von Jan Hofer

Studie: Rechtsextreme Einstellungen nehmen deutlich zu

Stand: 21.09.2023, 15:20 Uhr

Rechtsextreme Positionen haben in Deutschland seit 2021 stark zugenommen. Das besagt eine Studie von Forschern der Uni Bielefeld. Was die Ergebnisse bedeuten.

In der deutschen Bevölkerung steigt die Zahl jener, die rechtsextreme Einstellungen befürworten. Zu diesem Ergebnis kommt die sogenannte Mitte-Studie, die heute veröffentlicht wurde. Darin werden alle zwei Jahre im Auftrag der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung die Einstellungen in der Mitte der Gesellschaft abgefragt.

Zu welchen Ergebnissen kommt die Studie?

Die mehr als 400 Seiten starke Untersuchung, die von Forscherinnen und Forschern der Universität Bielefeld koordiniert wird, enthält viele verschiedene Ergebnisse. Hier die wichtigsten im Überblick:

  • Aktuell hat demnach jeder zwölfte Erwachsene ein rechtsextremes Weltbild. Das sind 8 Prozent der Befragten, und damit ist dieser Wert im Vergleich zu den Vorjahren - 2 bis 3 Prozent - erheblich angestiegen.
  • Mittlerweile befürworten mehr als 6 Prozent eine Diktatur mit einer einzigen starken Partei und einem Führer für Deutschland (2014-2021: 2 bis 4 Prozent).
  • Während sich aktuell 15,5 Prozent der Bevölkerung selbst rechts der Mitte sehen, waren es zuvor in der zurückliegenden Befragung lediglich knapp 10 Prozent.
  • Mehr als verdoppelt hat sich der Anteil derjenigen, die politische Gewalt billigen. Laut Studie liegt er aktuell bei 13,2 Prozent. Vor zwei Jahren vertraten 5,3 Prozent der Befragten diese Auffassung.

In der Studie heißt es zusammenfassend: Rechtsextreme Einstellungen seien stark angestiegen und weiter in die Mitte der Gesellschaft gerückt.

"Ein Teil der Mitte distanziert sich von der Demokratie, ein Teil radikalisiert sich." Mitte-Studie 2022/23

Gibt es gesonderte Zahlen für NRW?

Nein, nach Bundesländern wurde bei der Studie nicht unterschieden. Sie basiert auf einer repräsentativen Telefonumfrage mit 2.027 Menschen im Zeitraum vom 2. Januar bis 28. Februar dieses Jahres.

Warum haben rechtsextreme Einstellungen zugenommen?

Die Studie benennt zwar nicht die eine klare Ursache, liefert aber verschiedene Erklärungsansätze. Gerade in Krisenzeiten scheinen rechtsextreme Einstellungen demnach das Ergebnis dieser vielfachen Eskalationen zu sein: "Die Folgen der Coronapandemie sind noch nicht überwunden, die Klimakrise ist in vollem Gange und seit Februar 2022 bringt die russische Invasion in der Ukraine weitere Unsicherheiten und Ängste in Bezug auf Energiesicherheit oder Preissteigerungen", heißt es in der Studie.

Solche Krisen könnten "solidarisch und gemeinschaftlich bearbeitet werden oder ab- und ausgrenzend". Offenbar rückten nun aber Menschen der Mitte deutlicher von der Demokratie ab als zuvor. Das hänge auch mit der verstärkten Verbreitung völkisch-nationalistischer Ideologie zusammen, die vermeintliche Wege aus den Krisen anbiete.

Was gilt als rechtsextremes Weltbild?

Es gibt unterschiedliche Definitionen von Rechtsextremismus - in der Wissenschaft, in der Umgangssprache und beim Verfassungsschutz. Die Autorinnen und Autoren der Mitte-Studie definieren als zentrales Merkmal des Rechtsextremismus "eine Ideologie der Ungleichwertigkeit und Gewalt beziehungsweise die Billigung von Gewalt zur Durchsetzung der Ideologie".

Allerdings ist man nach Angaben der Autoren nicht automatisch "rechts", wenn man einzelnen Aussagen während der Befragung zustimmt. Maßgeblich seien die Zusammenhänge "und einem daraus resultierenden Muster der Antworten".

Welche Fragen wurden gestellt?

Bei der Telefonumfrage wurden den Befragten verschiedene Aussagen zur Beurteilung vorgelegt. Um die Einstellung zum Antisemitismus zu erfahren, wurde zum Beispiel gefragt: "Auch heute noch ist der Einfluss der Juden zu groß." Oder zur Fremdenfeindlichkeit: "Die Ausländer kommen nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen."

Die Befragten hatten fünf Möglichkeiten, solche Aussagen zu kommentieren. Die Skala reichte dabei von "... lehne völlig ab" über "teils/teils" bis zu "... stimme voll und ganz zu".

Wie kommen rechtsextreme Einstellungen zustande?

"Menschen, die solche Tendenzen haben, entscheiden nicht nach abstrakten Kategorien: 'Ich will rechts sein'", sagte Philosophie-Professor Martin Booms von der Alanus-Hochschule in Alfter bei Bonn am Donnerstag dem WDR.

Martin Booms, Philosophie-Professor

Professor Martin Booms

Menschen entscheiden sich seiner Einschätzung nach vielmehr nach ihren konkreten Wahrnehmungen: "Was sie fühlen, in welchem Zustand sich die Gesellschaft befindet, nach ihren Bedürfnissen, auch nach ihren konkreten Ängsten. Selbst wenn das nur gefühlte Ängste sind." Moralische Appelle helfen deshalb aus Booms' Sicht nicht.

"Ich muss mir anschauen, was treibt denn Leute in so eine Richtung: 'Das alte Gesellschaftsmodell funktioniert nicht mehr, dann machen wir es eben mit einem neuen, einem totalitären.' "

Es gehe jetzt um eine schonungslose Selbstanalyse der gesellschaftlichen Mitte: "Wir haben so gelebt, als würde alles so weiterlaufen." Das gehe jetzt nicht mehr, angesichts von geopolitischen Veränderungen und ökologischer Krise. "Wir müssen die Angst davor verlieren, uns zu bewegen und auch bereit für Veränderungen in der Gesellschaft zu sein." Nur so könne den Angeboten der Rechtspopulisten etwas entgegengesetzt werden.

Philosophie-Professor Martin Booms zur Mitte-Studie 2022/23

WDR Studios NRW 21.09.2023 06:04 Min. Verfügbar bis 28.09.2025 WDR Online


Unsere Quellen:

  • Interview mit Professor Martin Booms im WDR 5 Morgenecho
  • dpa
  • AFP
  • epd

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