Die französische rechtsnationale Politikerin Marine Le Pen ist in der Affäre um die Scheinbeschäftigung von Mitarbeitern im Europaparlament schuldig gesprochen worden. Le Pen hat mit den veruntreuten EU-Geldern Parteimitglieder in Frankreich bezahlt, befand das Gericht. Die Strafe trete umgehend in Kraft, urteilte die Richterin am Montag in Paris und entzog der 56-Jährigen das passive Wahlrecht für fünf Jahre.
Außerdem wurde Le Pen zu vier Jahren Haft verurteilt: Zwei Jahre sind zur Bewährung ausgesetzt, in den anderen zwei Jahren soll sie eine elektronische Fußfessel tragen.
Worum ging es bei dem Urteil?
Die Richterin prangerte ein "System" an, das Marine Le Pen von ihrem Vater, Parteigründer Jean-Marie Le Pen, übernommen und weiter ausgebaut habe. "Die Budgets der EU-Abgeordneten (für ihre Assistenten) wurden zusammengelegt", sagte die Richterin. Die Partei habe Geld gespart und dies sei "direkt durch das EU-Parlament finanziert worden". Es habe zwar keine persönliche Bereicherung gegeben, aber "eine Bereicherung der Partei".
"Es gibt keine Zweifel daran, dass es da Verstöße gab", sagte ARD-Frankreich-Korrespondent Michael Strempel im Gespräch mit dem WDR. "Sie konnten die Vorwürfe nicht glaubhaft entkräften." Insofern funktioniere die französische Justiz.
Was bedeutet das für ihre politischen Ambitionen?
Laut Entscheidung des Gerichts darf die heutige Fraktionschefin des Rassemblement National (RN) ab sofort nicht mehr für ein politisches Amt kandidieren. Die Richterin begründete das Verbot mit einem drohenden "Rückfallrisiko". Trotz der bereits eingelegten Berufung gilt das Verbot erst einmal weiter.
Le Pen galt als aussichtsreiche Kandidatin bei der Präsidentschaftswahl 2027. "Es ist mein politischer Tod, der gefordert wird mit vorläufiger Vollstreckung, und das ist, glaube ich, von Anfang an das Ziel dieser Operation", hatte Le Pen auf die Forderung der Anklage reagiert, ihre Unwählbarkeit für politische Ämter sofort und noch vor Rechtskraft des Urteils umzusetzen.
Le Pen schuldig gesprochen. WDR Studios NRW. 31.03.2025. 37:19 Min.. Verfügbar bis 31.03.2027. WDR Online.
Kann man auch in Deutschland das passive Wahlrecht verlieren?
Ja. Auch in Deutschland führen bestimmte gerichtliche Verurteilungen dazu, dass sich die Betroffenen nicht mehr zur Wahl stellen können. Laut Strafgesetzbuch trifft das zu, sobald jemand für ein Verbrechen verurteilt wird, dessen Mindeststrafmaß bei einem Jahr liegt. Liegt die tatsächlich verhängte Strafe dann wirklich bei mehr als zwölf Monaten, kann das Gericht entscheiden, ob der oder die Verurteilte das passive Wahlrecht für zwei bis fünf Jahre verliert. In dieser Zeit darf die betroffene Person auch nicht Mitglied einer Partei sein.
Warum ist das Urteil so heikel?
Der vorübergehende Verlust des passiven Wahlrechts ist in Frankreich eine gängige Strafe, wenn Politiker wegen Korruption und Untreue verurteilt werden. Dennoch gilt es aufgrund der großen Beliebtheit von Le Pen als heikel. Auch moderate Politiker hatten Bedenken angemeldet, da es das Narrativ befeuern könnte, das Urteil sei politisch motiviert, um Le Pen als Präsidentin zu verhindern. "Die Entscheidung über die Absetzung eines Politikers sollte dem Volk obliegen", sagte sogar der politische Gegner, Jean-Luc Mélenchon von der französischen Linkspartei.
Für die rechte Partei und Le Pens politische Ambitionen ist das Ergebnis definitiv ein Desaster. Die Partei war in den Umfragen auf dem Vormarsch und im Parlament so stark vertreten wie noch nie. Le Pen schaffte es, aus dem Schatten ihres Vaters zu treten und sich ein gemäßigtes Image zu verschaffen. Das machte sie für viele Schichten wählbar.
Was sagt Le Pen selbst?
Am Abend gab sich die 56-Jährige im Fernsehsender TF1 kämpferisch: Sie werde alles dafür tun, "eine Kandidatur bei der Präsidentschaftswahl ins Auge zu fassen", so Le Pen, die aber einräumte: "Um es klar zu sagen: Ich bin ausgeschlossen, aber in Wirklichkeit sind es Millionen von Franzosen, deren Stimmen ausgeschlossen wurden." Das Urteil sei politisch und ziele darauf ab, ihr die Kandidatur für das Präsidentenamt bei der Wahl 2027 zu verwehren.
Was bedeutet das Urteil für die aktuelle Politik?
ARD-Frankreich-Korrespondent Strempel sprach davon, dass es nun natürlich zu einer Art politischer Rache kommen könne. Zuletzt hatte der RN darauf verzichtet, Misstrauensvoten gegen die Minderheitsregierung des Zentrumspolitikers Francois Bayrou zu unterstützen. "Für ein erfolgreiches Misstrauensvotum benötigt der RN aber auch ein Bündnis mit den Linken, die sich in letzter Zeit sehr gemäßigt gaben", so Strempel: "Es besteht aber die Sorge, dass die Anhängerschaft sich radikalisiert."
Strempel glaubt, dass viele gemäßigte Kräfte in Frankreich Bauchschmerzen mit dem Urteil haben. "Mein Gefühl ist, dass dieses Urteil nicht die ungeteilte Zustimmung findet, auch nicht in der Mitte", analysiert Strempel.
Was sagen europäische Politiker?
Vor allem Europas Rechte schäumt vor Wut: Der rechtsnationale ungarische Ministerpräsident Viktor Orban erklärte sich solidarisch mit Le Pen. "Je suis Marine", schrieb er in Anlehnung an die Solidaritätsbekundungen mit dem Satiremagazin Charlie Hebdo, Je suis Charlie, der nach dem tödlichen Anschlag auf das Redaktionsbüro im Jahr 2015 geprägt wurde.
Der italienische Rechtspopulist Matteo Salvini sprach von einer "Kriegserklärung" und skandierte: "Wir lassen uns nicht einschüchtern, wir hören nicht auf: Volle Kraft voraus, meine Freundin!" Dmitri Peskow, Sprecher des russischen Präsidenten Wladimir Putin, sagte: "In der Tat schlagen immer mehr europäische Hauptstädte den Weg ein, demokratische Normen mit Füßen zu treten."
RN-Parteichef Jordan Bardella nannte das Urteil "ungerecht". "Ein Todesurteil für die französische Demokratie", schrieb er im Onlinedienst X. "Ich bin geschockt über das unglaubliche harte Urteil", schlug der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders auf X in eine ähnliche Kerbe.
Die Bundesregierung verwies auf eine interne Angelegenheit Frankreichs und wollte sich nicht zu dem Urteil äußern. Grünen-Co-Parteichef Felix Banaszak begrüßte hingegen die Entscheidung. Das Urteil sei "ein gutes Zeichen dafür, dass unser Rechtsstaat funktioniert", sagte er. Die CDU lobte die französische Justiz: "Die französische Republik und ihre Gesetze schützen die EU und das Geld der Steuerzahler", erklärte CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt.
Wer folgt nun auf Le Pen?
Die Verunsicherung in der Partei ist groß. Der bisherige Plan sah vor, dass bei einem Sieg Le Pens bei der Präsidentschaftswahl und einem Sieg ihrer Partei bei der nachfolgenden Parlamentswahl RN-Chef Jordan Bardella Premierminister geworden wäre. Ob der 29-jährige Bardella nun für das Präsidentenamt kandidieren will, ist noch nicht bekannt.
Strempel räumt Bardella nicht so große Chancen ein, die Wahl im Jahr 2027 zu gewinnen: "Er ist wirklich noch sehr jung."
Bardella kommt aus "Neuf Trois", dem berüchtigten 93. Departement Frankreichs. Es heißt, es sei das ärmste Departement des Landes. In "Seine Saint Denis" nordöstlich von Paris gibt es so viele Menschen mit Einwanderungsgeschichte wie in keinem anderen Departement. Daraus schlägt er Kapital. Bardella genießt eine hohe Glaubwürdigkeit, wenn er über die Banlieus, die französischen Vororte, spricht. Seine Mutter ist Italienerin, sein französischer Vater hat algerisch-italienische Wurzeln. Allerdings wuchs er nicht in Armut auf.
Unsere Quellen:
- Nachrichtenagenturen dpa, AP, AFP,
- Gespräch mit ARD-Frankreich-Korrespondent Michael Strempel