Reaktionen in Ortsverbänden auf Koalitionsvertrag

Aktuelle Stunde 09.04.2025 31:44 Min. UT Verfügbar bis 09.04.2027 WDR Von Alexa Schulz

"Die Regierung muss das schaffen" – Erwartungen an die neue Koalition

Stand: 09.04.2025, 21:17 Uhr

Jetzt sollten alle im Land mitmachen, hat Markus Söder bei der Vorstellung des neuen Koalitionsvertrags in Berlin gefordert. Aber: Wobei überhaupt? Was erwarten Menschen im Land von einer neuen, künftigen Regierung? Ein nicht-repräsentatives Stimmungsbild aus NRW.

Von Benny Degen, Susanne Schöppner

Kreuztal - eine kleine Stadt im Kreis Siegen-Wittgenstein. Hier leben rund 30.000 Einwohner, der Bürgermeister ist Sozialdemokrat. Doch bei der Bundestagswahl im Februar hatten knapp 30 Prozent ihr Kreuzchen bei der CDU gemacht. Es herrscht Frühlingsidylle auf dem Roten Platz, dem Zentrum der Stadt. Am Wasserspiel des Brunnens toben Kinder, auf einer Bank haben sich drei Mütter mit ihren Babys in die Sonne gesetzt.

Steigende Kosten beeinflussen Familienplanung

Eine von ihnen ist Stefanie. Für sie sind die steigenden Kosten für das Familienleben ein echtes Problem. "Man überlegt bei der Familienplanung, was man sich überhaupt leisten kann. Ein zweites Kind bedeutet auch, dass man mehr Wohnraum braucht." Sie setzt keine große Hoffnung in die neue Regierung; glaubt, dass viel versprochen, aber wenig umgesetzt wird.

Stefanie, 40, aus Kreuztal

Stefanie aus Kreuztal macht sich Sorgen um die Lebenshaltungskosten

"Wie bei der alten Regierung auch." Die Erhöhung des Kindergeldes als Ziel im Koalitionsvertrag stimmt sie nicht optimistisch. "Meinetwegen ist die Gesamtsumme, die investiert wird, groß. Aber der Betrag, der dann bei mir ankommt, ist keine große Erleichterung. Dafür kann ich nicht mal mehr eine Packung Pampers kaufen."

Die anderen Mütter stimmen Stefanie zu. "Wir stehen an einem Punkt, wo ein sorgenfreies Familienleben in Deutschland nicht mehr funktioniert." Früher habe es gereicht, wenn ein Elternteil arbeiten ging, meint Stefanie und denkt dabei auch an ihr Elternhaus. "Heute wird es knapp, wenn beide arbeiten gehen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieses Problem mit der neuen Regierung gelöst werden kann."

"Ich habe Wut"

Auch in Wuppertal scheint die Sonne, und hier sind ähnliche Stimmen zu hören. "Ich könnte stundenlang darüber reden, weil ich Wut habe!", sagt Farhad Rajabpour auf die Frage, was die neue Regierung dringend angehen sollte. "Die Armut wird mehr. Man sieht Leute, die Flaschen suchen. Die alten Menschen können es sich nicht mehr leisten, in die Stadt zu kommen, um einen Kaffee zu trinken. Die Preise steigen. Wie sollen Familien das noch schaffen?"

Zu sehen ist Farhad Rajabpour in seinem Gewürz-Stand

"Ich habe Wut und manchmal Tränen", sagt Farhad Rajabpour aus Wuppertal

Mit 18 Jahren ist Rajabpour aus dem Iran, oder Persien wie es damals hieß, nach Deutschland gekommen, um zu studieren. Seit über 20 Jahren hat er einen Gewürzstand auf dem Elberfelder Markt in Wuppertal. "Ich bedauere das sehr. Früher war Deutschland Nummer eins, alle wollten hierher. Heute gibt es immer mehr Arbeitslose. Da muss die Politik aufwachen." Er sagt aber auch: "Es gibt auch immer noch gute Politiker in der Regierung, man darf das nicht über einen Kamm scheren."

Und wie blickt er auf die kommende Regierung? "Ich sorge mich vor allem um die junge Generation, nicht um mich. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf. Denn die AfD ist für mich keine Alternative. Gerade wegen unserer Geschichte." Ja, er sagt: unsere Geschichte.

"Wir sind enttäuscht"

Während der Markt in Wuppertal langsam schließt, hat der nächste Laden noch geöffnet. "Ich arbeite seit vielen Jahren 16, 17 Stunden am Tag, ich bin selbständig, ich habe alle Integrationskurse sehr gut abgeschlossen", erzählt Hakim (Name geändert). Gemeinsam mit seiner Frau betreibt er einen kleinen Supermarkt in Wuppertal. Er kommt aus Syrien, sie haben sich im Irak kennengelernt und sind seit 16 Jahren verheiratet.

"Wer sich gut integriert hat, muss zum Teil trotzdem jahrelang aufs Amt warten und bekommt keine Staatsbürgerschaft. Ich arbeite, ich zahle Steuern. In anderen Ländern wäre ich schon längst eingebürgert. Ich hatte andere Dinge von Deutschland gehört, bevor wir gekommen sind. Und wir sind enttäuscht", berichtet Hakim, während hinter der Fleischtheke seine Tochter auf dem Schoß sitzt. "Manchmal denke ich, wir müssen umziehen, auch für unsere Kinder."

"Ich schäme mich für meine hohen Preise"

Seine Frau erzählt, dass sie ihre kranke Schwiegermutter seit zehn Jahren nicht sehen konnte, weil die beiden nach den Regeln des aktuellen Asylsystems nicht ins Heimatland reisen können. Die Forderung also an die neue Regierung: "Das muss alles besser, schneller und fairer werden bei den Behörden und Ämtern. Und wir hoffen das auch. Vielleicht wird das mit der Digitalisierug besser."

Zu sehen ist Hakim (Name geändert) an der Kasse seines kleinen Supermarktes

Hakim (Name geändert) und seine Frau sind von den Behörden genervt

Und Hakim hat noch einen Punkt, der geändert werden soll: "Viele, die bei uns einkaufen, können von ihrer Arbeit nicht mehr leben. Ich schäme mich dann immer für meine hohen Preise, aber für uns ist das im Einkauf auch so teuer geworden. Und das merken vor allem die Menschen mit Mindestlohn. Das sollte geändert werden, dass das Leben wieder bezahlbar wird."

Ein Stammkunde kommt vorbei, kauft ein bisschen Fleisch. Man verabschiedet sich mit Handschlag. Danach zieht Hakim eine beunruhigende Parallele zu Syrien: "Ich sehe hier mittlerweile viel Armut. Ich kenne das so auch aus meinem Heimatland. Aber hier war das nie so. Wenn das hier auch mehr wird, wäre das sehr schlimm."

Wünsche von Umweltschutz bis Steuergerechtigkeit

Es ist ein sonniger Tag in Wuppertal, an diesem Tag, an dem es einen neuen Koalitionsvertrag gibt. Viel haben die Menschen noch nicht mitbekommen vom neuen Vertrag zwischen Schwarz und Rot. Stattdessen genießen sie die Sonne auf dem Laurentiusplatz in der Innenstadt, bei Getränk und Suppe, so wie Cheri McKinley. Sie kommt ursprünglich aus den USA, lebt aber schon seit über 30 Jahren hier.

Zu sehen ist Cheri McKinley im Café

Cheri McKinley, Erzieherin aus Wuppertal, ist die Umwelt wichtig

"Mit Abstand am wichtigsten ist die Umwelt", sind sie und ihre Freundin Michelle von Loefen, ursprünglich aus Frankreich, sich einig. "Mehr Steuergerechtigkeit auch, aber es sollte vor allem viel mehr Geld in erneuerbare Energien fließen." Und wird die neue Regierung das wohl auch so umsetzen? "Ich wäre gerne hoffnungsvoller", antwortet McKinley, "aber ich glaube leider eher nicht. Die sind eher an Firmen und Profit interessiert."

Glaubwürdigkeit und Vertrauen

Zurück nach Kreuztal, zu Frank Bäcker. Der 51-Jährige sieht ein großes Problem, das die deutsche Politik habe, und das keinem Ressort zuzuordnen ist: die Glaubwürdigkeit. Es müsse dringend angegangen werden, so sagt er, dass die Leute wieder den Politikern vertrauen und das Gefühl haben, gehört zu werden.

"Dafür ist es nötig, dass nun nach der Regierungsbildung schnell begonnen wird, Themen umzusetzen. Die Menschen müssen sehen, dass etwas passiert. Es muss gehandelt, nicht nur versprochen werden." Er bleibe hoffnungsvoll, dass sich nun etwas bewegt.

"Die Regierung muss das schaffen"

"Spannend, was da kommt", sagt Detlef Klein. Er isst gerade mit seiner Frau und seinem Enkelkind ein Eis. Für ihn ist eine stabile Wirtschaft und eine stabile Rente die wichtigste Aufgabe. "Weil dann habe ich auch alles andere sicher." Das Thema Bürgergeld als "Aufregerthema" findet er nicht so wichtig. Wahrscheinlich gebe es auch bei einer Änderung wieder eine Dunkelziffer derjenigen, die es ausnutzen, so seine Einschätzung.

Ob die Regierung es schaffe, Stabilität herzustellen, sei nicht die Frage. "Sie MUSS es schaffen", sagt der 56-Jährige. Denn sonst würde die AfD nur stärker und das mache ihm Angst.

"Das Wichtigste ist die Integration"

Das sehen auch Ralf und Elisabeth Bosshammer so. Das Ehepaar betreibt seit 25 Jahren gemeinsam den "Rosenkavalier", einen Blumenstand auf dem Markt in Wuppertal.

"Das Wichtigste ist die Integration. Die müssen das hinkriegen, dass wir hier nur so viele Menschen reinlassen, wie wir wirklich integrieren können. Wenn die das regulieren ... Die müssen jetzt richtig arbeiten. Wenn die das nicht schaffen, haben wir in vier Jahren die AfD, das macht mir Angst", sagt Elisabeth, während ihr Mann vorfährt, um den Stand einzupacken. Der hat noch ein weiteres Thema: "Wir müssen pragmatischer werden".

Mehr Pragmatismus - und mehr Spaß

Wobei? "Bei allem. Jetzt habe ich gelesen, dass die es zur Pflicht machen wollen, dass wir auch Kartenzahlung anbieten. Also der Kunde bekommt die Freiheit, zu entscheiden - wir aber nicht. Das kostet uns so viel Geld, dass wir dafür zwei Wochen in Urlaub fahren könnten. Und das geht einfach so als Geschenk an die Bank. Denn jeder Transfer kostet. Ist das gerecht?"

Zu sehen sind die Blumenhändler Ralf und Elisabeth Bosshammer

Die Bosshammers aus Grevenbroich fordern mehr Pragmatismus in der Politik

Dabei geht es ihm gar nicht nur ums Geld: "Der einzige, der was von meinem Umsatz abbekommen soll, ist Vater Staat. Da habe ich nichts gegen, ich bin dankbar, in diesem Land zu leben und zahle gerne meine Steuern. Aber die Bank muss ich nicht subventionieren", führt Ralf aus. Elisabeth will langsam los, dicht machen. Aber Ralf will noch etwas loswerden.

"Ein bisschen mehr Pragmatismus, dann haben die Leute hier auch wieder mehr Spaß. Das haben wir aktuell nicht." Sein Rat an die künftige Regierung: "Die müssen die Dinge angehen, mit denen die Opposition Wählerstimmen eingesammelt hat. Wir haben die letzten vierzig, fünfzig Jahre gepennt. Ich hoffe, dass die Koalition das macht. Müssen sie ja, denn sonst wird es in vier Jahren tiefblau, und davor habe ich noch mehr Angst als vor dem Bekloppten in Amerika."

"Wir müssen alle anpacken"

Angst ist die Thematik, über die Luis in Kreuztal primär spricht. "Das Thema Sicherheit ist mir bis heute wichtig. Siegen und Kreuztal, das sind kleine Städte, aber selbst da fühlt man sich nicht mehr immer wohl", so der 18-Jährige. Er lässt den Blick über den Platz schweifen. Er findet es gut, dass die Migrationspolitik überdacht wird. Und auch, wenn die Schulden ihn betreffen werden, ist er froh, dass mehr Geld in Verteidigung und Infrastruktur fließt.

Die Stimmung im Land sei mies, die Liste der Probleme lang, so Luis. "Ich glaube darum nicht, dass sich schon bald etwas ändern kann. Das braucht mehr Zeit als eine Legislaturperiode." Mehr Zeit - und die Mitarbeit aller, wie Marktbeschicker Farhad Rajabpour in Wuppertal ganz zum Schluss noch hinterherruft: "Wir müssen jetzt alle kräftig mit anpacken."

Scheint so, als sei Söders Wunsch an alle im Land, "mitzumachen", also auch schon in NRW gehört worden.

Unsere Quellen:

  • Gespräche mit Menschen vor Ort
  • ARD-Hauptstadtstudio