Das "Unwort des Jahres" 2023 lautet "Remigration". Das Wort werde als "beschönigende Tarnvokabel" von rechten Parteien und rechtsextremen Gruppierungen verwendet, um damit die Zwangsausweisung bis hin zu Massendeportationen von Menschen mit Migrationsgeschichte zu fordern, sagte die Jurysprecherin der sprachkritischen Aktion, Constanze Spieß, am Montag in Marburg. "Das Eindringen und die Verbreitung des vermeintlich harmlosen und beschönigenden Ausdrucks in den allgemeinen Sprachgebrauch führt zu einer Verschiebung des migrationspolitischen Diskurses in Richtung einer Normalisierung rechtspopulistischer und rechtsextremer Positionen", befand die Jury. Dies dürfte sich 2024 auch in den Wahlkämpfen niederschlagen, erwartet Spieß.
Eigentlich stammt der Begriff aus der Migrationsforschung. Er ist dort auf Individuen bezogen und beschreibt in der Regel die freiwillige Rückkehr in das Land, das man selbst - und nicht die Vorfahren - verlassen hat. Der Begriff werde von Rechten und Rechtsextremen ideologisch vereinnahmt und umgedeutet, so die Jury. Ziel sei die Verschleierung einer menschenunwürdigen Abschiebe- und Deportationspraxis.
Begriff war zentral bei rechtem Geheimtreffen
Mit der Wahl des Begriffes ist die Jury in diesem Jahr sehr aktuell. Erst vergangene Woche berichtete das Recherchezentrum Correctiv von einem geheimen Treffen zwischen Neonazis, rechten Unternehmern und teils hochrangigen AfD-Mitgliedern in Potsdam. Dort soll unter dem Schlagwort "Remigration" über die Vertreibung von Millionen Menschen aus Deutschland diskutiert worden sein. Gemeint waren damit laut Correctiv Asylbewerber, Ausländer mit Bleiberecht sowie "nicht assimilierte Staatsbürger", sprich: Deutsche mit Migrationshintergrund.
Rechte Taktik: Scheinbar harmlose Begriffe umdeuten
Hauptredner bei dem Geheimtreffen war der österreichische Rechtsextreme Martin Sellner, der lange Jahre Sprecher der Identitäten Bewegung (IB) Österreichs war und als eine der einflussreichsten Figuren der europäischen Szene gilt. Der Journalist Florian Schroeder hat Sellner jahrelang für ein Buchprojekt begleitet. Auf die Frage, was Sellner so gefährlich mache, sagte er dem WDR: "Dass er es schafft, Begriffe, die im ersten Moment scheinbar harmlos klingen, in den Mainstream zu bringen."
Einen Vorgang, den die Politlinguistin Iris Kuck im Gespräch mit dem WDR ähnlich beschreibt: "Man nutzt einen Begriff, der in nicht-rechten Kontexten verwendet wird, und deutet ihn um. So kann er unter dem Radar in die Diskurse gelangen."
Auf seinem Telegram-Kanal äußerte sich Sellner am Montagmorgen zur Wahl. Es würde von einer "woken Jury" gekürt, eigentlich sei "Remigration" das "Wort des Jahres". Er forderte dazu auf, dass es auch "das Wort des Jahres 2024 und die Tat des Jahres 2025" werden solle und postete einen Vorbestellungslink zu seinem nächsten Buch mit dem Titel "Remigration. Ein Vorschlag".
AfD benutzt "Remigration" schon länger als Kampfbegriff
Seit 2015 wird der Begriff der "Remigration" verstärkt als Schlagwort von der Identitären Bewegung benutzt, wenn es um die Abschiebung und Vertreibung von Minderheiten geht. Der Begriff gilt laut Verfassungsschutz als "ausländer- und islamfeindlich".
AfD greift oft zu Unworten
Auch die AfD verwendet ihn schon länger in Reden, Pressemitteilungen und auf Grafiken in Sozialen Medien. Bereits im Programm zur Bundestagswahl 2021 forderte die AfD "eine nationale und eine supranationale Remigrationsagenda".
Vorstandsmitglied tritt aus Verein Deutsche Sprache aus
Bei besagtem Treffen in Potsdam war neben rechten Netzwerkern, Politikern, Unternehmern und Neonazis auch Silke Schröder vom Dortmunder Verein Deutsche Sprache (VDS) anwesend. Der Verein falle schon seit längerem durch seine "Nähe zu relativ weit rechten Positionen auf" und zeige inhaltlich und kommunikativ eine gewisse "Anschlussfähigkeit an die Neue Rechte", sagte der Linguist Stefan Hartmann dem WDR.
Nachdem sich der Verein aufgrund des Treffens öffentlich von Schröder distanziert hatte, trat diese am Sonntag nach eigenen Angaben aus dem Verein aus und legte ihr Vorstandsamt nieder.
"Das erinnert an die dunkelsten Zeiten in Deutschland"
In einem längeren Statement machte sie "linke Hetze" dafür verantwortlich. Auf X (früher Twitter) bezeichnete sie die Berichterstattung über das Treffen als "hirnlosen Quatsch". Vielleicht, so Schröder weiter, sei es Zeit für eine "Remigration von sog. Journalisten an Ausbildungssstätten, die ihnen ideologiebefreit die Grundlagen ihres Handwerks beibringen".
Der Deutsche Journalistenverband (DJV) kritisierte Schröders Aussage scharf. "Darunter kann man nur den Wunsch nach einer Deportation von unliebsamen Journalistinnen und Journalisten in Umerziehungslager verstehen", ordnete der DJV-Bundesvorsitzende Mika Beuster die Aussage ein. "Das erinnert an die dunkelsten Zeiten in Deutschland."
Unworte des Jahres stammen oft aus rechtem Milieu
Der frühere CDU-Politiker Ruprecht Polenz war als Gastjuror an der Wahl zum "Unwort des Jahres" beteiligt. Für ihn ist klar: Mit dem Begriff "Remigration" wollen Rechte und Rechtsextremisten "ihre wahren Absichten verschleiern: die Deportation aller Menschen mit vermeintlich falscher Hautfarbe oder Herkunft, selbst dann, wenn sie deutsche Staatsbürger sind." Nach der Wahl, so seine Hoffnung, werde diese Täuschung nicht mehr so leicht gelingen.
Der Vorsitzende des Sachverständigenrates für Integration und Migration (SVR), Hans Vorländer, bezweifelt diesen Effekt. Für ihn ist die Benennung des "Unworts des Jahres" ein "Empörungs- und Skandalisierungsritual", das letztendlich aber auch die Resonanz des jeweiligen Begriffs verstärke - "man rückt ihn sozusagen in den Mittelpunkt". Jury-Sprecherin Spieß sagte dazu, man sei sich bewusst, dass der Begriff und das rechte Lager durch die Entscheidung auch mehr Aufmerksamkeit bekämen. Als zivilgesellschaftliche Aktion wolle man aber auf das Thema "aufmerksam machen, aufklären, zeigen, wie die Strategien funktionieren, damit man das dann auch dechiffrieren kann", so die Sprachwissenschaftlerin.
Zumindest hat nun die Öffentlichkeit ein weiteres sprachliches Erkennungszeichen neben früheren "Unworten des Jahres" wie "Gutmensch", "Lügenpresse", "Überfremdung" oder "Volksverräter": Wer diese Begriffe benutzt, sollte sich klar darüber sein, dass es sich dabei um das Vokabular der Rechten und Rechtsextremen handelt.
Unsere Quellen:
- dpa
- KNA
- epd
- WDR
- X
- Telegram