Die elektronische Patientenakte startet: Das Wichtigste im Blick | WDR Aktuell 02:24 Min. Verfügbar bis 29.04.2027

Die elektronische Patientenakte startet: Das Wichtigste im Blick

Stand: 29.04.2025, 07:05 Uhr

Die elektronische Patientenakte startet. Seit Dienstag sollen Arztpraxen und Kliniken sie bundesweit freiwillig nutzen können, ab Oktober soll sie Pflicht werden. Die Einführung soll eine Reihe von Vorteilen bringen, es gibt aber auch Kritik.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat den deutschlandweiten Start der elektronischen Patientenakte (ePA) als "Zeitenwende" bezeichnet. Sie bringe einen "längst überfälligen Wendepunkt in der Digitalisierung der Gesundheitsversorgung", betonte Lauterbach am Montag in Berlin.

Die elektronische Patientenakte ist Mitte Januar mit einer Testphase in Hamburg, Franken und in Teilen Nordrhein-Westfalens gestartet. Jetzt kommt der nächste Schritt: Die ePA soll jetzt in ganz Deutschland freiwillig genutzt werden können, ab Oktober soll sie in Arztpraxen und Kliniken verpflichtend werden.

Ursprünglich sollte die E-Akte schon längst gestartet sein. Der Starttermin war aber wegen technischer Probleme verschoben worden. Der Grund: In den Testregionen fehlte in vielen Praxen, die mitmachen wollten, die dafür nötige Software.

Fragen und Antworten zur ePA:

Was ist die elektronische Patientenakte?

Die ePA soll die bisher an verschiedenen Orten wie Praxen und Krankenhäusern abgelegten Patientendaten digital zusammentragen und ein Ende der Zettelwirtschaft im Gesundheitswesen bringen. Notfalldaten, Laborwerte, Röntgenbilder, Arztbriefe, Befunde und Medikationspläne, aber auch der Impfausweis, der Mutterpass, das Untersuchungsheft für Kinder und das Zahnbonusheft sollen schrittweise elektronisch archiviert und schnell abgerufen werden können. Langfristig sollen Patienten auch ihre durch Fitnesstracker gewonnenen Gesundheitsdaten - Blutzuckerwerte, Blutdruckmessungen - in der ePA einspeichern können. Etwa 200.000 Gesundheitseinrichtungen sollen durch die ePA besser vernetzt werden - darunter sind unter anderem Krankenhäuser, Arztpraxen, Apotheken und Pflegeheime.

Was muss ich tun, wenn ich die ePA möchte?

Gar nichts. Jeder Versicherte erhält automatisch eine elektronische Patientenakte - außer, der Versicherte hat ausdrücklich widersprochen. Ganz neu ist die ePA übrigens nicht. Schon seit 2021 konnte jeder Versicherte bei der eigenen Krankenkasse eine elektronische Patientenakte beantragen. Die Nachfrage war aber sehr gering.

All das gilt für gesetzlich Versicherte. Privat Versicherte bekommen die Akte nicht automatisch, sondern erst, wenn sie eine Erlaubnis erteilen. Private Kassen müssen ihren Patienten die ePA auch nicht anbieten.

Welche Vorteile soll die Akte bringen?

"Patientinnen und Patienten bekommen endlich einen Überblick über ihre Daten und Befunde", sagte Lauterbach. Zudem könnten behandelnde Ärzte alle medizinischen Informationen einsehen, die jemals über den Patienten von Arztpraxen, Krankenhäusern, Apotheken und anderen Gesundheitseinrichtungen gesammelt wurden. Befunde, verschriebene Medikamente, Röntgendaten und Impfdaten sind schnell einsehbar. In einem Notfall kann das helfen, um zum Beispiel gefährliche Wechselwirkungen mit Medikamenten zu vermeiden. Ärztinnen und Ärzte könnten mit der Patientenakte bessere Entscheidungen treffen, erklärte Lauterbach: "Damit wird die Qualität der Versorgung besser."

Bei Haus- und Fachärzten können Doppeluntersuchungen vermieden werden. Das soll zu einer Entlastung von Ärzten und Patienten führen. Behandlungen sollen so effektiver, schneller und günstiger ablaufen können. Bisher wird in deutschen Praxen und Kliniken noch immer gemailt, gefaxt und gedruckt. Durch das E-Rezept kam Schwung in die Digitalisierung im Gesundheitssystem. Nun sollen auch zeitraubende Telefonate wegen Vorbefunden des Patienten wegfallen.

Gibt es Kritik oder Nachteile für Patienten?

Die elektronische Patientenakte ist nicht unumstritten. Kritisiert werden zum Beispiel diese Aspekte:

Zugriff: Kurz vor dem bundesweiten Start der elektronischen Patientenakte werfen Patientenschützer dem Bundesgesundheitsminister eine Irreführung vor. Anders als bislang vermittelt, hätten Versicherte keine Möglichkeit, einzelne Dokumente nur bestimmten Ärzten, Therapeuten oder Apotheken zur Verfügung zu stellen. "So kann auch ein Orthopäde sehen, dass der Patient in jahrelanger psychotherapeutischer Behandlung ist, selbst wenn der Patient diese Information nur für neurologische Fachärzte zur Verfügung stellen will", sagte Vorstand Eugen Brysch.

 "Wird diese Information aber für den Orthopäden gesperrt, wird sie für alle Ärzte gesperrt. Will der Versicherte jedoch den Orthopäden von einem bestimmten Dokument ausschließen, bleibt nur die Möglichkeit, diesem Facharzt den kompletten Zugriff zu verweigern", erläuterte Brysch. Damit hätte der Orthopäde auch keine Chance, für ihn relevante Ergebnisse beispielsweise radiologischer Fachärzte einzusehen.

Widerspruchsregelung: Ein Bündnis aus Kritikern, darunter die Verbraucherzentrale Bundesverband und die Deutsche Aidshilfe, hatten eine aktive Zustimmung der Patienten als Voraussetzung für die elektronische Patientenakte gefordert, so wie sie auch bei privaten Akten nötig ist.

Diskriminierung: Kritiker befürchten Nachteile für Patienten durch die Freigabe sensibler Daten wie psychischer Erkrankungen oder sexuell übertragbarer Infektionen. Patienten mit Depressionen, Abhängigkeitserkrankungen oder bestimmten sexuellen Orientierungen würden durch die Einsehbarkeit aller medizinischen Daten diskriminiert werden.

Fehlende Barrierefreiheit: Der Sozialverband VdK hat die mangelnde Nutzbarkeit der elektronischen Patientenakte für Menschen mit Behinderung kritisiert. "Aktuell sieht es so aus, dass Menschen mit einer Behinderung vielfach von der Nutzung der ePA ausgeschlossen werden, weil der Zugang zur ePA nicht barrierefrei ist", sagt VdK-Präsidentin Verena Bentele. Die elektronische Patientenakte hätte insbesondere Menschen mit Behinderungen zugutekommen können, so Bentele. Teilhabe sei kein Geschenk an eine Minderheit, sondern eine Frage der sozialen Gerechtigkeit und der Fairness. Das müsse im Gesundheitssystem zwingend gegeben sein. 

Ist ein Widerspruch möglich?

Ja, jederzeit. Widersprüche bei den gesetzlichen Krankenkassen sind digital und per Anruf möglich. Bei einem Widerspruch wird die Akte nicht angelegt oder nachträglich gelöscht. Auch können Versicherte festlegen, dass eine Praxis, ein Krankenhaus oder eine Apotheke keinen Zugriff auf die ePA erhält. Zudem kann Widerspruch gegen das Einstellen einzelner Dokumente, Abrechnungsdaten, Medikationslisten und gegen die Nutzung der Daten zu Forschungszwecken eingelegt werden.

Für wen sind die medizinischen Daten einsehbar?

Das Bild zeigt eine Grafik, Medical Record auf dem Smartphone | Bildquelle: mauritius images / Pitopia

Einblick in die freigegebenen medizinischen Informationen der Akte erhalten Personen, die einen elektronischen Heilberufsausweis haben im Krankheitsfall des Patienten automatisch 90 Tage lang. Den Heilberufsausweis haben Ärzte, Apotheker, Pflegepersonal, Praxen oder Krankenhäuser.

Wie steht es um den Datenschutz?

Da einer Datenfreigabe nicht aktiv zugestimmt werden muss, haben Patientenschützer Bedenken, weil Patienten schlicht vergessen könnten, die Datenfreigabe abzulehnen. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber kritisiert zudem, dass Patienten mit der Frage, welche Daten nun beschränkt werden sollten, überfordert sein könnten.

Der Chaos Computer Club (CCC) hält das ePA-Sicherheitskonzept, das vom Fraunhofer-Institut für Sichere Informationstechnologie positiv begutachtet wurde, für eine "halluzinierte Fehldiagnose". Ungelöst sei das Problem, dass Hacker mit wenig Aufwand Heilberufs- und Praxisausweise sowie Gesundheitskarten beschaffen und damit auf Gesundheitsdaten zugreifen können. Mängel im System erlaubten es außerdem, Akten beliebiger Versicherer aufzurufen, ohne dass Gesundheitskarten präsentiert oder eingelesen werden müssen. Angesichts der Sicherheitslücken sei die ePA derzeit "nicht vertrauenswürdig", schrieb der CCC im Dezember in einer Mitteilung.

Gesundheitsminister Lauterbach sagte im September 2024 angesichts aufkommender Kritik zur Datensicherheit: "Der Datenschutz und die Datensicherheit waren uns zu jedem Zeitpunkt das wichtigste Anliegen. Alles, was wir hier machen, setzt voraus, dass die Datensicherheit gewährleistet ist." Die Patienten würden zu jedem Zeitpunkt "die Herren ihrer Daten" bleiben.

"Die Daten der Bürger sind sicher vor Hackern."

Laut Kassenärzte-Chef Gassen müssten jedoch die vom CCC entdeckten Sicherheitslücken erst einmal geschlossen werden. "Vorher kann und darf es keine verpflichtende Einführung geben."

Was passiert mit den Daten der ePA noch?

Daten aus der elektronischen Patientenakte sollen für Forschungszwecke an Universitäten und die Pharmaindustrie pseudoanonymisiert weitergegeben werden, um die Versorgung von Patienten zu verbessern. Pseudoanonymisiert bedeutet, dass Daten wie Namen etwa durch Codes ersetzt werden. Dieser Nutzung können Patienten bei ihrer Krankenkasse ebenfalls widersprechen.

Das Bündnis aus Kritikern schreibt: "Die digitale Verfügbarkeit von Gesundheitsdaten öffnet das Gesundheitswesen für eine ganze Reihe neuer wirtschaftlicher Akteur*innen, die einen inhärenten Interessenkonflikt beim Zugriff auf Gesundheitsdaten oder dem Betrieb von entsprechenden Systemen aufweisen."

Die neue digitale Patientenakte ab 2025 WDR Studios NRW 30.09.2024 03:06 Min. Verfügbar bis 01.10.2026 WDR Online

Ab welchem Alter können Patienten entscheiden?

Patienten ab 15 Jahren sollen selbst entscheiden können, welche Daten in ihren Akten landen. Bis dahin entscheiden die Erziehungsberechtigten über die Datenfreigabe ihrer Kinder. Erwachsene Kinder von pflegebedürftigen Eltern sollen auf deren Daten Zugriff erhalten können.

Wie können Patienten die ePA nutzen?

Die Akte wird über eine App aufgerufen, die die jeweilige Krankenkasse zur Verfügung stellt. Beispielsweise können sie dann die elektronische Patientenakte mit gesammelten Daten von Fitness-Trackern auf ihren Smartwatches versorgen. Auch Menschen ohne Smartphone oder Computer sollen Zugriff auf ihre eigene elektronische Patientenakte bekommen. Sie können sich dafür an Apotheken oder ihre Krankenkasse wenden. 

Anfangs wird die elektronische Patientenakte nicht über alle geplanten Funktionen verfügen, sie soll aber nach und nach weiterentwickelt werden. So könnten zum Beispiel erst einmal keine Röntgen- und MRT-Bilder gespeichert werden, jedoch die dazugehörigen Befunde. Ebenso soll eine Schnittstelle zum Organspenderegister in Arbeit sein.

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