Die Zahl der Klimaaktivisten in Lützerath, die verhindern wollen, dass das Dorf am Rand des Braunkohletagebaus Garzweiler abgerissen wird, steigt stetig. Nach Angaben einer Sprecherin der Initiative "Ende Gelände" waren am Sonntagnachmittag mehr als 1.000 Demonstranten vor Ort. Die Polizei Aachen ging sogar von 1.500 Personen aus.
Seit der Termin bekannt ist, an dem Polizei und RWE Lützerath räumen wollen, kommen immer mehr Klimaaktivisten an die westliche Abbruchkante des Tagebau Garzweiler.
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Die Klimaaktivisten hatten zu einem Spaziergang durch das Dorf eingeladen. Zu Beginn ertönte der Klang einer Muschel, den eine Delegation von pazifischen Inselbewohnern den Braunkohlegegnern bei einem Besuch 2017 geschenkt hatte.
Auftritt von AnnenMayKantereit
Später trat die Kölner Band AnnenMayKantereit in Lützerath auf. "Lützerath muss bleiben. Deswegen machen wir dort am Sonntag Musik", schrieb Sänger Henning May bei Instagram. Eigentlich sollte das Konzert an der Abbruchkante des Tagebaus stattfinden. Eine Unterspülung sorgte dafür, dass die Band an einem anderen Platz spielen musste.
Bereits am Vormittag hatte sich das Bündnis "Lützerath unräumbar" vorgestellt, zu dem sich neben Ende Gelände auch Organisationen und Initiativen wie Fridays for Future, Alle Dörfer bleiben und Letzte Generation zusammengeschlossen haben. Die Verbände sehen Chancen, dass der Abriss des Dorfes Lützerath am Tagebau Garzweiler in letzter Minute verhindert werden kann.
Luisa Neubauer: "Die Zerstörung muss aufhören"
Zu einem geplanten Dorfspaziergang - Lützerath besteht aus nur noch wenigen ehemaligen Gehöften und Häusern - kam auch die Klimaaktivistin und Fridays-for-future-Sprecherin Luisa Neubauer. Vorab hatte sie Unterstützer dazu aufgerufen, ebenfalls zu kommen.
"Man merkt, dass anscheinend unterschätzt wurde, welche Kraft in diesem Ort steckt", sagte Neubauer in Lützerath. "Hier zeigt eine Gesellschaft, dass sie versteht: Es geht um alles. Das Dorf hier ist überlaufen von Menschen, die aus der ganzen Republik angereist sind." Die Politik traue sich noch nicht, das anzuerkennen, "aber die Zivilgesellschaft schon", so Neubauer. Die Kohle müsse im Boden bleiben. "Seit Jahren erleben wir die Klimafolgen, im Sommer 2022 wüteten in ganz Europa die gravierendsten Waldbrände, die Zerstörung muss aufhören, die bisher durch die deutsche Politik und Wirtschaft befeuert wird."
Campact: Argument der Notwendigkeit widerlegt
Auch Vertreter von Campact, Greenpeace und des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) kritisierten die Regierungen von Bund und Land NRW. Lützerath sei das Symbol für den Protest gegen eine "unambitionierte und mutlose Klimapolitik", sagte Christoph Bautz von Campact. Das Argument der Regierenden, der Tagebau sei energiepolitisch notwendig, hätten mehrere Gutachten widerlegt.
Karsten Smid von Greenpeace betonte, die CO2-Emissionen durch Kohleverbrennung seien im vergangenen Jahr noch gestiegen. Damit sei klar, dass der Energiesektor und auch der Verkehrssektor für das Erreichen der gesteckten Klimaschutzziele ausfielen.
Der Kampf um den Hambacher Forst habe gezeigt, dass durch gesellschaftlichen Druck etwas erreicht werden könne - in dem Fall der Erhalt des Waldes am Tagebau Hambach. Auch jetzt werde der Druck am Tagebau Garzweiler hoffentlich Wirkung zeigen, sagte Dirk Jansen vom BUND. Er forderte gleichzeitig, mehr Druck auf die Bundesregierung auszuüben, um ein Klimaschutz-Sofortprogramm durchzusetzen.
Mit brennenden Barrikaden versuchen Aktivisten den Zugang zum Dorf Lützerath zu blockieren. Das soll trotz heftiger Proteste dem Braunkohle-Tagebau weichen.
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Bürger bringen Aktivisten Lebensmittel
Nach Angaben einer Sprecherin der Aktivisten gebe es bundesweite Unterstützung, auch von der Bevölkerung rund um Lützerath. Das bestätigte Karsten Smid, Energieexperte von Greenpeace. Bürger hätten unter anderem Lebensmittel ins Camp der Aktivisten gebracht.
Es sei wichtig, dass alle Proteste der kommenden Tage und Wochen friedlich blieben und es keine Gewalt gegen Menschen gebe, betonten die Vertreter der Umweltverbände.
Verfassungsschutz: Auch gewaltbereite Personen
Der NRW-Verfassungsschutz sagte in dieser Woche gegenüber der in Bielefeld erscheinenden Zeitung "Neue Westfälische", dass sich mittlerweile mehrere Dutzend gewaltbereite Personen in Lützerath aufhalten, um die Räumung des Ortes bei Erkelenz zu verhindern.
Auch andernorts hatten Klimaaktivisten Aktionen geplant. In Köln blockierten am Freitagmittag etwa zehn Aktivisten der Gruppe Letzte Generation kurzzeitig eine Hauptstraße. Die Polizei stellte nach eigenen Angaben die Personalien fest und leitete den Verkehr um. Die Initiative "Die Kirche(n) im Dorf lassen" kündigte eine Sternsinger-Aktion und Gebete in Lützerath an.
Unterdessen lief auch eine juristische Auseinandersetzung um die bevorstehende Räumung weiter. Das Verwaltungsgericht Aachen hatte am Donnerstag das vom Kreis Heinsberg verhängte Aufenthaltsverbot für Lützerath als "voraussichtlich rechtmäßig" eingestuft und einen Eilantrag der Klimaaktivisten abgelehnt. Am Freitag lag der Fall nun beim NRW-Oberverwaltungsgericht in Münster. Eine Entscheidung stand zunächst noch aus.
Informationen der Polizei am Montag erwartet
Die Polizei hat für Montag (09.01.23) eine Pressekonferenz angekündigt. Darin will sie bekannt geben, wie die Räumung ablaufen soll. Seit Tagen sind mehrere Hundertschaften der Polizei in Lützerath im Einsatz. Sie sichern die vorbereitenden Räumungsmaßnahmen von RWE ab. Dabei war es bereits zu Auseinandersetzungen mit Aktivisten gekommen.
Über dieses Thema berichtet die WDR Lokalzeit aus Aachen am 06.01.2023 auch im WDR Fernsehen und im Hörfunk auf WDR 2.