Ein kleiner Einblick in das Leben einer jüdischen Familie
Lokalzeit aus Köln. 11.12.2023. Verfügbar bis 11.12.2025. WDR. Von Anke Bruns.
Jüdisches Leben: "Ich möchte mich nicht verstecken"
Stand: 11.12.2023, 20:48 Uhr
Das in Köln neu gegründete "Forum 321" möchte jüdische Themen mehr in die Öffentlichkeit tragen. Viele Jüdinnen und Juden bekennen sich nicht offen zu ihrer jüdischen Identität. Aus Sorge vor Übergriffen.
Von Anke Bruns
Chanukkia mit Spielfiguren für die Kinder.
Seit den Anschlägen der Hamas am 7. Oktober ist die Sorge vor Übergriffen in der jüdischen Community deutlich gewachsen.
Sophie Brüss kommt gerade von der Arbeit nach Hause. Sie muss sich beeilen. Draußen wird’s immer dunkler. Und es ist Chanukka - das Lichterfest. Ihre beiden Töchter warten schon. Sophie Brüss möchte die Identität ihrer Kinder schützen. Deshalb nennen wir sie Olivia (9) und Rahel (12).
Sophie Brüss mit Chanukkia.
Die jüdische Familie aus Köln gewährt dem WDR einen kleinen Einblick in ihr jüdisches Leben zu Hause. Eine große Ausnahme in diesen Tagen. Viele Jüdinnen und Juden verstecken derzeit ihre Identität. Aus Angst vor Übergriffen. "Einige in meinem Bekanntenkreis verzichten dieses Jahr sogar darauf, zum Lichterfest Kerzen ins Fenster zu stellen, weil sie dann als Juden identifiziert werden könnten", sagt Sophie Brüss. Aber sie und ihre Kinder wollen sich diese Tradition nicht nehmen lassen.
Ein cooles Fest
Gemeinsam stöbern sie in der Anrichte im Wohnzimmer, um die Chanukkia, die achtarmigen Leuchter für Chanukka rauszuholen. Jede darf sich einen eigenen aussuchen. Sophie Brüss greift zum klassischen Leuchter aus Silber. Olivia und Rahel nehmen ihre selbstgebauten Chanukkia mit kleinen Spielzeugfiguren und umgedrehten Blumentöpfchen.
Alle drei stellen ihre Chanukkia ins Wohnzimmer-Fenster. Bis zum 15. Dezember werden sie hier jeden Abend Kerzen anzünden und Lieder singen. Für die beiden Mädchen stehen kleine Geschenketütchen zum Auspacken in einer Schale daneben.
Für Sophie Brüss ist Chanukka ein wichtiges Fest. Sie möchte mit ihren Kindern die jüdischen Traditionen leben und die Botschaften, die diese Traditionen enthalten, weitergeben. "Mit dem Lichterfest schenken wir der Welt Licht und Wärme. Und wir erinnern uns alle daran, dass auch Wunder geschehen."
Diese und viele andere Traditionen aus der jüdischen Kultur brauchen viel mehr Aufmerksamkeit und Raum in der Öffentlichkeit, so die Gründer des neuen "Forum 321" in Köln. "Wir müssen jüdisches Leben in Deutschland sichtbarer machen und dem erstarkenden Antisemitismus etwas entgegensetzen." Das Forum 321 möchte unter anderem jedes Jahr am 11. Dezember öffentlich über jüdische Kultur aufklären und über jüdische Themen diskutieren.
Gegründet haben das Forum drei Kölner Vereine, die sich schon lange mit jüdischen Themen beschäftigen: Der Verein MiQua-Freunde - Fördergesellschaft LVR - Jüdisches Museum im Archäologischen Quartier Köln, die Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit und das Kölner Forum für Kultur im Dialog e.V. mit dem jüdischen Musikfestival Shalom-Musik.Koeln.
Bei der Auftaktveranstaltung am 11. Dezember 2023 im Kölner Wallraf Richartz-Museum wird der "Angriff auf Israel und die Auswirkungen auf die Gesellschaft und Kulturinstitutionen" im Mittelpunkt der Diskussionen stehen.
Das Datum ihrer jährlichen Veranstaltung haben die Vereinsgründer nicht zufällig gewählt. Der erste historische Beleg einer jüdischen Gemeinde nördlich der Alpen stammt vom 11. Dezember 321. Damals erließ der römische Kaiser Konstantin ein Gesetz, das auf Anfrage der Stadt Köln jüdische Bürger für den damaligen Stadtrat verpflichtete.
Mut machen
Eine Mesusa am Türpfosten gehört auch zum jüdischen Leben.
Sophie Brüss findet die Gründung des Forums gut. Ihr ist es wichtig, die jüdische Kultur immer wieder nach außen zu tragen, aber auch Jüdinnen und Juden Mut zu machen, sich nicht zu verstecken. Die Kölnerin trägt seit vielen Jahren ein goldenes Kettchen mit einem kleinen Davidstern um den Hals.
"Der Stern bedeutet mir sehr viel. Ich habe ihn aber lange nicht getragen, aus Angst", sagt sie. "Heute sage ich mir: Ich bin doch ein Teil dieser Gesellschaft. Ich gehöre dazu. Ich möchte mich nicht verstecken. Und deshalb trage ich ihn. Nur manchmal, wenn ich abends allein mit der Bahn unterwegs bin, verstecke ich ihn unter meinem Pullover."
Unsere Quellen:
- Forum 321
Über dieses Thema berichtet der WDR am 11.12.2023 auch im Fernsehen in der WDR Lokalzeit aus Köln und im Radio auf WDR 2.