Schutz vor Gewalt: Extra Waggon für Frauen? Aktuelle Stunde 13.11.2024 30:14 Min. UT Verfügbar bis 13.11.2026 WDR

Schutz vor Gewalt: Extra-Waggons für Frauen sorgen in NRW für Kritik

Stand: 13.11.2024, 18:57 Uhr

Mehr als die Hälfte der Frauen meiden nachts den ÖPNV - wegen möglicher Übergriffe durch Männer. Eine Grünen-Politikerin hat nun vorgeschlagen, mit eigenen Frauen-Waggons für mehr Sicherheit zu sorgen. Kann das wirklich die Lösung sein?

In Tokio gib es sie, und die Grünen in Berlin wollen sie nach mehreren Übergriffen auf Frauen und einer Vergewaltigung in der U-Bahn-Linie 3 auch: Abteile, die zu bestimmten Zeiten Frauen vorbehalten sind, sodass sie sich im ÖPNV abends und nachts sicherer fühlen. Kein Zutritt für Männer.

Mehr als 50 Prozent der Frauen meiden nachts den ÖPNV

Dass viele Frauen dieses Gefühl der Sicherheit nicht haben, ist bekannt. Das Bundeskriminalamt und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) haben bereits vor zwei Jahren eine Studie vorgestellt, wonach mehr als die Hälfte der Frauen nachts nicht in öffentliche Verkehrsmittel steigen, weil sie sich unsicher oder sogar bedroht fühlen. 

"Dass Frauen die Bahn aus Angst nicht nutzen, darf verkehrspolitisch und gesellschaftlich nicht sein." Iko Tönjes, Sprecher des NRW-Landesverbandes vom Verkehrsclub Deutschland

Können eigene Waggons für Frauen diese Angst auflösen? Iko Tönjes, Sprecher des NRW-Landesverbandes vom Verkehrsclub Deutschland (VCD), sagt, dass man im Verband bereits Überlegungen in diese Richtung angestellt habe. Frauen-Abteile könnten aber nur ein Element einer Sicherheitskette sein.

"Gut beleuchtete Räume" erhöhen Sicherheitsgefühl

"Idealerweise fühlt sich eine Frau von Haustür zu Haustür sicher", sagt Tönjes. Ein Waggon - videoüberwacht und direkt hinter dem Fahrer -, der signalisiert "Stopp, hier kommen nur Frauen rein", könne hilfreich sein, "aber alleine reicht das nicht". Der VCD-Sprecher empfiehlt beispielsweise, den Einsatz von Künstlicher Intelligenz in Erwägung zu ziehen, mit deren Hilfe sich in Kamera-überwachten Bereichen Gefahren erkennen ließen.

Bei Etta Hallenga, Mitarbeiterin der Frauenberatung in Düsseldorf, hält sich die Begeisterung für ein separates Frauen-Abteil in Grenzen. Sie würde andere Dinge bevorzugen: "Gut beleuchtete Räume" könnten das Sicherheitsgefühl schon erheblich steigern: "Wir hören von Frauen immer wieder, dass etwa Zugänge zu Straßenbahnen zu dunkel und unübersichtlich sind." Das könne man ändern, und von hellen Haltestellen würde jeder profitieren - nicht nur Frauen.

Sexuelle Übergriffe bis hin zur Vergewaltigung

An die Frauenberatung in Düsseldorf wenden sich laut Hallenga viele Frauen nach sexuellen Übergriffen in Bus und Bahn. Diese reichten von verbaler Belästigung über Exhibitionisten bis hin zur Vergewaltigung. Selbst eine sexuelle Belästigung durch einen der Fahrer an einer Endstation sei schon vorgekommen.

"Extra-Waggons für Frauen signalisieren, dass Frauen selbst für ihren Schutz zu sorgen haben." Etta Hallenga, Mitarbeiterin der Frauenberatung Düsseldorf

Die objektive Gefahr, Opfer von Gewalt zu werden, sei nachts für Männer zwar größer, sagt Tönjes, aber der VCD-Sprecher und Hallenga sind sich einig, dass allein die Angst vieler Frauen, nachts den ÖPNV zu nutzen, inakzeptabel sei. Die Zahl der sexuellen Übergriffe in Bussen und Bahnen bezifferte die NRW-Landesregierung im Januar mit 1.078 von 2018 bis 2022.

Hallenga wünscht sich Gesellschaft mit mehr Zivilcourage

Trotz der großen Angst und der tatsächlichen Übergriffe hält Hallenga eine "Separierung" von Frauen in eigenen Waggons nicht für die beste Lösung: "Man muss etwa aufpassen, dass Frauen hinterher nicht vorgeworfen wird, wenn sie in gemischten Abteilen zu Opfern werden." Sie hätten sich ja in das Frauen-Abteil setzen können. So drohe eine Umkehr der Schuldfrage, der Frauen bei sexuellen Übergriffen oft ausgesetzt seien.

Hallenga betont, dass es eine "hundertprozentige Sicherheit" nicht gebe, aber dass Frauen sich im öffentlichen Raum sicherer fühlten, sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Neben der besseren Beleuchtung für ein höheres Sicherheitsempfinden setzt sie vor allem auf eine Förderung der Zivilcourage in der Gesellschaft: "Hinsehen, eingreifen und was machen. Man muss sich nicht selber in Gefahr bringen, man kann die 110 anrufen." Nur Nichtstun dürfe keine Option sein.

Ähnlich wie Hallenga sieht auch der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen nicht primär den ÖPNV, sondern vor allem die Gesellschaft in der Pflicht: "Wir müssen in allen Lebensbereichen gegen sexualisierte Gewalt vorgehen. Präventiv und restriktiv", sagte VDV-Geschäftsführer Alexander Möller am Mittwoch.

Unsere Quellen:

  • Gespräch mit Etta Hallenga von der Frauenberatung Düsseldorf
  • Gespräch mit Iko Tönjes, Sprecher des NRW-Landesverbandes vom Verkehrsclub Deutschland
  • Bundeskriminalamt
  • Nachrichtenagentur dpa

Über dieses Thema berichteten wir im WDR am 13.11.2024 auch im Fernsehen: Aktuelle Stunde, 18.45 Uhr.