Das Interview findet in Steinmeiers Unterkunft in Espelkamp statt. In der 25.000-Einwohner-Stadt im Kreis Minden-Lübbecke hält sich der Bundespräsident drei Tage lang noch bis Donnerstag auf, um dort mit Menschen ins Gespräch zu kommen.
Steinmeier ist gut gelaunt. Gleich zu Beginn des Gesprächs wird es aber ernst. Es geht um die Recherchen der Journalisten-Gruppe Correctiv zu jenem viel diskutierten Treffen mit Rechtsextremen in Potsdam, an dem auch Vertreter der AfD teilnahmen. Dabei wurde unter anderem über Pläne gesprochen, wie man Menschen mit Migrationshintergrund massenhaft aus Deutschland ausweisen könnte.
WDR: Nach den Correctiv-Recherchen haben viele Menschen mit Migrationshintergrund Angst davor, dass die AfD an die Regierung kommen könnte. Was sagen Sie diesen Menschen?
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier: Zunächst einmal, dass ich mir dieselben Sorgen gemacht habe, als ich die Ergebnisse des Recherche-Kollektivs gesehen habe. Es hat zurecht Aufregung und Empörung darüber gegeben. Und ich bin vor allen Dingen froh darüber, dass das nicht am nächsten Tag versickert ist, sondern dass die Menschen auf die Straße gegangen sind. Und was wir lange nicht mehr erlebt haben: Es sind Zehntausende, Hunderttausende auf die Straße gegangen - nicht gegen etwas, sondern für etwas. Für die Demokratie, für Freiheit und Demokratie und dafür, dass wir ein offenes Land bleiben.
WDR: In Ihrer Amtszeit gibt es noch mehrere Wahlen, auch eine Bundestagswahl. Angenommen, die AfD käme dabei an die Regierung. Würden Sie als Bundespräsident auch einen Minister oder eine Ministerin einer Partei ernennen, die unseren Staat eigentlich von Grund auf verändern möchte, anzweifelt oder gefährdet?
Steinmeier: Der Bundespräsident entscheidet nicht zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Zunächst mal haben die politischen Verantwortlichen, das sind die Innenminister von Bund und Ländern, zu entscheiden, wie sie mit einer Partei umgehen, die das Verfassungsschutzamt eingestuft hat. Ich glaube, wir müssen jetzt - auch in Anbetracht der Umfragen - nicht darüber reden, ob eine AfD die nächsten Bundesminister stellt.
Viel wichtiger ist, dass das, was wir jetzt in den letzten Wochen auf der Straße gesehen haben, erhalten bleibt. Denn wir können uns nicht wegwünschen, was da passiert. Was dieses Rechercheergebnis aus Potsdam ja zum ersten Mal aufgedeckt hat, das sind Versuche, auch deutsche Staatsbürger außer Landes zu bringen.
Ich glaube, das ist zum ersten Mal richtig verstanden worden, was da eigentlich als Gedankengut vorherrscht. Dass tatsächlich bei einigen offenbar die Vorstellungen einer völkischen Gemeinschaft, einer ethnischen Reinheit bestehen, die Inhalte eines politischen Programms werden sollen. Und dagegen gehen die Leute auf die Straße, weil sie wissen und gemerkt haben, zu welcher Politik das in Deutschland führen könnte.
Wir müssen jetzt sehen, dass das nicht nur auf Demonstrationen stattfindet, sondern dass das Gespräch darüber auch im Alltag der Menschen ankommt. Und deshalb bin ich froh darüber, dass Unternehmer und Gewerkschaften, die ja normalerweise ganz unterschiedliche Positionen haben, sich jetzt zu Bündnissen zusammenschließen und sagen: Wenn es um die Grundfragen dieser Gesellschaft, wenn es um die Demokratie geht, dann müssen wir eine ganz klare und zwar gemeinsame Grenze ziehen gegen die Verächter der Demokratie.
WDR: Sie kommen ja aus einfachen Verhältnissen hier ganz aus der Nähe. Und für ihre Generation galt noch der Satz: Euch wird es mal besser gehen als euren Eltern. Das gilt ja heute nicht mehr so. Es gibt Kriege, Klimakrise, Konjunkturflaute. Wie spiegeln sie der jungen Generation Zuversicht wider?
Steinmeier: Zunächst einmal haben Sie recht. Es gibt Gründe, sich Sorgen zu machen. Wir haben Kriege und Krisen aufeinanderfolgend. Das alles hat Folgen. Und deshalb machen sich die Menschen zurecht Sorgen. Ich reihe mich trotzdem nicht in den Chor derjenigen ein, die unser Land schon im Abgrund sehen, weil ich in einem langen politischen Leben die Erfahrung gemacht habe: Es gibt keine Krise, die unentrinnbar ist. Sondern es kommt immer darauf an, dass man der Krise mit der richtigen Haltung und mit der Besinnung auf die eigenen Stärken begegnet. Und diese Stärken haben wir.
Ich habe es zigmal erlebt in den zurückliegenden Jahrzehnten, dass Menschen gesagt haben: Deutschland ist am Abgrund. Wir sind auf dem letzten Platz, das Schlusslicht oder die rote Laterne in Europa. Wir haben uns aus solchen Situationen befreit. Und ich bin sicher: Wir haben das Potenzial, die Kraft, die Möglichkeit und auch die Fähigkeiten, uns aus dieser gegenwärtigen Krise zu befreien.
Aber ja, die Dauerkrise, erst die Pandemie, dann zwei Kriege, die uns berühren, mit den Folgen, die das für die Wirtschaft hat - das lastet auf der Seele. Das setzt eine Gesellschaft in Dauerstress. Nicht nur die Jugend, auch die Älteren.
WDR: Wir haben ein paar Fragen aus der Community mitgebracht. Ein User fragt: Wer packt eigentlich Ihren Koffer?
Steinmeier: Ich selbst.
WDR: Immer noch?
Steinmeier: Immer noch.
WDR: Ein anderer User fragt: Was war das lustigste, interessanteste, beste Mitbringsel, das Sie als Bundespräsident zum Beispiel von anderen Staatschefs bekommen haben?
Steinmeier: Das Lustigste, weiß ich gar nicht. Aber das vielleicht Spektakulärste, was mir geschenkt worden ist, erst jüngst bei einer Reise in die Mongolei, ist ein lebendes Kamel. Das habe ich allerdings nicht mitgenommen, sondern das bleibt in der Mongolei, wird dort auch versorgt und kriegt jetzt eine staatliche Fütterungshilfe.
WDR: Userin Miriam fragt: Warum schafft es die Politik häufig nicht, Entscheidungen sinnvoll und nachvollziehbar zu erklären, wo doch das Wissen der Welt sozusagen nur einen Klick entfernt ist? Das spiegelt sich ja auch in schlechten Umfragewerten für Politikerinnen und Politiker wider. Was muss die Politik besser machen?
Steinmeier: Die Frage ist wirklich nicht leicht zu beantworten, weil es keine Frage ist, die sich auf Veränderungen in Deutschland beschränkt. Wir erleben im Augenblick in fast allen westlichen liberalen Demokratien denselben Trend, dass Polarisierung in der Gesellschaft dazu führt, dass die Achtung vor den demokratischen Institutionen, vor den Parlamenten und ihren Repräsentanten sinkt.
Das ist nichts, worüber man sich heimlich die Hände reiben sollte. Das betrifft Politik. Das bedroht Politik, das bedroht den Respekt vor den demokratischen Institutionen - und am Ende auch vor den Medien.
WDR: Aber die Frage war ja: Was kann die Politik ändern? Vielleicht auch in der Art, wie sie kommuniziert, um dem entgegenzuwirken.
Steinmeier: Mehr kommunizieren. Vielleicht auch etwas, was ich versuche zu tun: Indem ich Politik nicht auf die Hauptstadt beschränkt ansehe, sondern meinen Schreibtisch, auch das Berliner Gespräch in der Hauptstadt, immer wieder verlasse, um in die Region zu gehen, in Städte und Gemeinden, auf die das Scheinwerferlicht normalerweise nicht so fällt. Und vor allen Dingen signalisiere: Ihr habt den falschen Eindruck, wenn ihr glaubt, die Politik interessiert sich nicht für euch. Mich interessiert es jedenfalls. Und ich will hören, was euch umtreibt, was euch sorgt.
Das Interview führten Minh Thu Tran und Florian Gregorzyk für den Nachrichten-Podcast 0630 vom 13.03.2024. Die Online-Fassung wurde leicht gekürzt und geändert.