Unterwestrich am Rande des Tagebaus Garzweiler II wirkt wie ein Geisterdorf. Die meisten Menschen hier sind weggezogen, die Rolläden sind heruntergelassen, in den Vorgärten wuchert das Unkraut.
Das gleiche Bild in den anderen vier Dörfern, die nach einem Beschluss von Bundesregierung, Landesregierung und RWE vor rund drei Monaten nun doch nicht dem Tagebau geopfert werden: Keyenberg, Kuckum, Oberwestrich und Berverath. Neunzig Prozent der Bewohner sind inzwischen weggezogen. Eine der wenigen, die geblieben sind, ist Waltraud Kieferndorf. Sie ist erleichtert, dass sie ihr Haus mit großem Garten in Kuckum nicht aufgeben muss.
Paradoxe Situation
"Umsiedlung war ein tagtägliches Thema“, erzählt Kieferndorf "eigentlich alle haben darunter gelitten, den Druck nicht ausgehalten, manche sind kurz nach dem Umzug gestorben, wo wir uns ziemlich sicher sind, die sind am gebrochenen Herzen gestorben“.
Für viele ehemaligen Bewohner der Dörfer ist es eine paradoxe Situation. Sie haben ihre Häuser an RWE verkauft und mit einem Abriss gerechnet, jetzt aber bleibt die alte Heimat erhalten. An der Dorfstraße von Unterwestrich hat bis zum vergangenen Jahr die neunzigjährige Hildegard Schulz in ihrem Elternhaus gewohnt. Dort wurde sie geboren, sie hat ihr ganzes Leben dort verbracht, und es dann schweren Herzens an RWE verkauft.
"Ich würde lieber hier bleiben"
Für Hildegard Schulz war es ein Schock, als sie vor einem Jahr dann erfuhr, dass Unterwestrich erhalten bleiben könnte. "Jetzt bin ich mich schon am Ärgern, ich hab schon gesagt, ich würde lieber hier bleiben, aber geht jetzt ja nicht mehr“ sagt Schulz, "man darf sich noch nichtmal einen Apfel abpflücken, wenn die Zeit abgelaufen ist und man hat den Schlüssel abgegeben!“
Der Verfall droht
Einige der ehemaligen Bewohner wollen nun ihre Häuser zurückkaufen. Aber die meisten Gebäude werden auf Jahre leer stehen, der Verfall droht, die Immobilien haben einen Sanierungsstau, bezugsfertig sind sie nicht. Waltraud Kieferndorf hat sich mit den anderen in den Dörfern gebliebenen Bewohnern zusammen getan. Sie und ihre Mitstreiter wollen mitreden, wenn es um die Zukunft geht.
"Wir wollen die Häuser, die noch erhaltenswert sind, renovieren“, sagt Kieferndorf, es gebe ja in Köln zum Beispiel Menschen, die aufs Land ziehen wollten: "Ich hab da kein Problem, dass die Dörfer wieder gefüllt werden!“ Die Bewohner könnten sich vorstellen, dass in den leeren Straßenzügen soziale Projekte wie etwa ein Kinderdorf oder ein Demenzdorf entstehen. Ein Industriegebiet oder ein Neubaugebiet dagegen lehnen sie ab.
Großzügige Entschädigungen
Dass die meisten ehemaligen Bewohner nicht mehr zurück wollen, liegt daran, dass RWE sie durchaus großzügig entschädigt hat. Neu-Immerath ist einer dieser Orte, die am Reißbrett entstanden sind. Der Ort sieht aus wie ein Neubaugebiet, mit dem alten Immerath, das inzwischen abgebaggert wurde, hat er nichts mehr zu tun. Es gibt breite Straßen und Bürgersteige und einen großzügig angelegten Dorfplatz. Ob die Menschen hier die alte Heimat vermissen? Ein Rentner, der mit seinem Hund unterwegs ist, schüttelt den Kopf. Die alte Heimat sei nunmal weg, die meisten Freunde verstorben.
Der neu entstandene Ort wirkt etwas steril, fast wie ein Ausstellungsgelände für Musterhäuser. Es gibt auch noch keine großen Bäume. Aber die meisten Menschen hier sind zufrieden in ihren modernern, neuen Häusern. RWE habe für den Umzug eine großzügige Entschädigung gezahlt, sagt ein anderer Neu-Immerather: "Ich habe noch keinen gefunden, der sich beschwert hat, die sind alle gut entlohnt worden.“