Kann der Astrazeneca-Impfstoff zu lebensgefährlichen Thrombosen führen? Das wird nun nach mehreren Erkrankungen, zum Teil mit Todesfolge, auf europäischer Ebene untersucht. Thrombosen kennt man vor allem in Beinvenen - ausgelöst zum Beispiel durch die Antibabypille. Was unterscheidet die mögliche Nebenwirkung von Astrazeneca von der Thrombose durch die Pille?
Sinusvenen-Thrombose: Nur selten durch die Pille
Bei den heftigen Erkrankungen nach der Corona-Impfung mit dem Astrazeneca-Vakzin handele es sich um Sinusvenen-Thrombosen, erklärt Ruth Schulz von der WDR-Wissenschaftsredaktion. Das sei nicht wirklich zu vergleichen mit dem üblichen Thrombose-Risiko durch die Pille.
Die Einnahme der Pille kann zu Thrombose führen - aber nur selten zur Sinusvenen-Thrombose.
Eine solche Sinusvenen-Thrombose könne zwar auch durch die Einnahme der Antibabypille verursacht werden - das komme allerdings nur selten vor, so Schulz. Ob es auch aktuell einen Zusammenhang zwischen der Einnahme der Pille und den Thrombose-Erkrankungen nach den Astrazeneca-Impfungen gibt, ist noch unklar.
Sechs der sieben Thrombose-Erkrankten sind Frauen
Auffällig ist allerdings: Sechs der sieben Menschen, die in Deutschland nach der Astrazeneca-Impfung eine solche Krankheit erlitten, sind Frauen. Drei Menschen starben.
Auch in der Schwangerschaft oder nach der Geburt kann es zu einer Sinusvenen-Thrombose kommen - allerdings ebenfalls nur selten.
Rote Pünktchen auf der Haut
Eine Sinusvenen-Thrombose kann durch eine Autoimmunreaktion entstehen, sagt Schulz. Der Körper bildet dann Antikörper gegen die eigenen Thrombozyten, also Blutplättchen, die die Blutgerinnung unterstützen und zum Beispiel Wunden verschließen. Deshalb können kleine rote Pünktchen auf der Haut entstehen, also jene Miniblutungen, von denen nach den sieben Astrazeneca-Impfungen die Rede ist.
Beim Abbau der Thrombozyten können aber auch Thromben entstehen, also Gerinnsel. Und diese können sich in einer Hirnvene festsetzen. Das ist vergleichbar mit einer Prellung etwa am Knie.
Schlaganfall-Gefahr durch Sinusvenen-Thrombose
Das Gehirn reagiere darauf allerdings nicht so plötzlich wie etwa auf einen arteriellen Gefäßverschluss, so Schulz. Der Hirndruck steigt allmählich, Kopfschmerzen werden stärker, auch ein Schlaganfall ist möglich.
Eine solche Reaktion kann spontan auftreten, durch eine Entzündung angestoßen werden - oder eben durch eine Impfung. Auch nach einer Mumps-, Masern- und Röteln-Impfung hat man ein solches Phänomen schon beobachtet.
Intensivmediziner Uwe Janssens
Außerdem sei es nicht nur nach Corona-Impfungen mit dem Vakzin von Astrazeneca, sondern auch mit dem von Biontech/Pfizer schon zu Sinusvenen-Thrombosen gekommen, sagte Uwe Janssens vom Präsidium der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin dem WDR.
Stationäre Behandlung - Erkrankung äußerst selten
Eine Sinusvenen-Thrombose kann stationär behandelt werden, zum Beispiel auf einer Schlaganfall-Station. Dabei versuchen Ärztinnen und Ärzte, das Gerinnsel aufzulösen und die Blutgerinnung wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Gelegentlich muss auch der Druck im Gehirn entlastet werden.
Die jetzt nach einer Impfung mit dem Astrazeneca-Vakzin aufgetretenen Sinushirnvenen-Thrombosen seien sehr selten, erklärte das Paul-Ehrlich-Institut. Laut Schulz tritt das Phänomen bei einer Million Menschen nur in zwei bis fünf Fällen auf. Zum Vergleich: Bei einer Million Frauen, die die Antibabypille nehmen, erkranken laut Uni Bremen jedes Jahr zwischen 500 und 1.200 an Venenthrombosen.
In Deutschland komme die Sinusvenen-Thrombose etwa 50 Mal im Jahr vor, sagte der SPD-Gesundheitspolitiker und Mediziner Karl Lauterbach am Dienstag im "ARD-Morgenmagazin". Das Risiko sei deutlich höher, durch Covid-19 zu sterben als durch eine Sinushirnvenen-Thrombose nach einer Astrazeneca-Impfung.
Forscher: "Wir wissen, um was es sich handelt"
Greifswalder Forscher wollen unterdessen die Ursache der möglichen Thrombose-Fälle nach einer Astrazeneca-Impfung herausgefunden haben. "Wir wissen, um was es sich handelt", sagte Andreas Greinacher, Leiter der Transfusionsmedizin der Universitätsmedizin Greifswald (UMG), am Freitag in einer Videoschalte.
Demnach könnten bei den selten auftretenden Hirnvenenthrombosen bestimmte Moleküle des Immunsystems eine Rolle spielen. Von unabhängigen Experten geprüft und in einem Fachjournal erschienen sind die Ergebnisse nicht. Über eine ähnliche Vermutung hatten am Donnerstag bereits Forscher in Norwegen berichtet.
Pal André Holme vom Universitätsklinikum Oslo hatte gesagt, er vermute, dass die Bildung der Gerinnsel über eine starke Immunantwort und dabei entstehende Antikörper, die an die Blutplättchen andocken und diese aktivieren, laufen könnte. Experten betonen, dass solche Ideen zum möglichen Ablauf bisher rein spekulativ sind.