Diskussion um Videoclips der Bundesregierung zu Corona-Helden

Stand: 16.11.2020, 20:04 Uhr

Junge Menschen können im Kampf gegen Corona zu Helden werden, wenn sie "faul wie Waschbären" auf der Couch bleiben. Das ist die Botschaft zweier Regierungsvideos. Genial oder geschmacklos?

Wie kann man junge Menschen dazu bringen, Corona-Maßnahmen wie Kontaktbeschränkungen einzuhalten? Mit Humor, dachte sich die Bundesregierung. Und stellte unter dem Schlagwort "#besonderehelden" zwei Videoclips ins Netz, die augenzwinkernd dafür werben, in der Corona-Krise zuhause zu bleiben. Zu Helden erklärt werden Nichtstuer, die auf der Couch liegen.

Ein Sprecher des Bundespresseamts erklärte, die Videos seien Teil der Informationspolitik in der Corona-Pandemie: "Ihre Botschaft ist klar: Kontakte zu reduzieren ist derzeit unser wichtigstes und wirksamstes Mittel, um die Pandemie einzudämmen." Diesen Appell wolle man mit den Videos an möglichst viele junge Menschen herantragen.

"Unsere Couch war die Front"

Inszeniert worden sind die Clips wie Fernseh-Geschichtsdokumentationen, untermalt mit dramatischer Musik. Fiktive ältere Menschen erzählen aus der Zukunft rückblickend, wie sie als junge Leute die zweite Welle "damals in diesem Corona-Winter 2020" erlebt haben.

Ein gewisser "Anton Lehmann" berichtet da: "Waren faul wie die Waschbären. Tage- und nächtelang blieben wir auf unserem Arsch zu Hause und kämpften gegen die Ausbreitung des Coronavirus. Unsere Couch war die Front, und unsere Geduld war die Waffe."

Regierung: Ein Held ist, wer zu Hause bleibt

In einem zweiten Clip taucht neben die Figur von Lehmanns Frau Luise auf. Damals habe das ganze Land "voller Hoffnung auf uns junge Leute" geschaut, sagt sie. "Vielleicht stimmte es, wenn die Leute damals sagten: Besondere Zeiten brauchen besondere Helden. Und weiß Gott, ja, das waren wir." Die Videos enden jeweils mit dem Appell der Bundesregierung: "Werde auch du zum Helden und bleib zu Hause."

Das Heldentum sei eine Überhöhung, erläuterte Regierungssprecher Steffen Seibert. Hierbei gehe "um Heldentum der allerallerzivilsten Art". Er erläuterte, man habe bei den Clips an das Format der Geschichtsdoku angeknüpft, das auch bei jungen Menschen sehr beliebt sei. Der Appell sei sehr ernst gemeint, auch wenn er in der Form "augenzwinkernd" sei.

Kommunikationsexpertin: "Kriegsvokabular schwierig"

Nicht nur die Kölner Kommunikationsexpertin Christine Richter ist von den Clips hin und her gerissen und hat sowohl für Lob als auch Kritik Verständnis. Problematisch ist für sie insbesondere die Verwendung von Kriegsvokabular.

"Aus ethischer Sicht finde ich es ganz schwierig, diese Parallele zu ziehen in Wort und Bild zu den Kriegsgeschehnissen des Zweiten Weltkriegs. Das ist das, was viele sicher ganz schwierig finden und wir deshalb auch so eine starke Polarisierung haben in den sozialen Medien", sagte sie dem WDR am Sonntag.

Andererseits lobt Richter das Spiel mit der Erwartungshaltung bezüglich eines Regierungsvideos: "Das ist natürlich eine sehr humorvolle und emotionale Herangehensweise, die man so in der Kommunikation von der Bundesregierung überhaupt nicht erwartet. Das ist erst einmal spannend."

Lob und Kritik in den sozialen Medien

Die Reaktionen in den sozialen Medien bilden die übliche Bandbreite ab - von großer Zustimmung bis zu völliger Ablehnung. Der bekannte Blogger Sascha Lobo twitterte: "Deutsches Twitter selten knalldackeliger (und deutscher), als wenn diese brillanten Corona-Spots auf Krampf scheiße gefunden werden. Manche Leute erreicht man so und nur so, also lasst eure innere Abiturientenkonferenz EINMAL für 10 Minuten NICHT raushängen."

Lobo: "Ziemlich gut gelungen"

Lobo sagte dazu dem WDR nochmal am Montag, er fände die Videos "ziemlich gut gelungen", da sie einer jungen Zielgruppe zeigen, dass es "gut, richtig und vor allem cool" sein kann, zuhause zu bleiben. In der Krisenkommunikation gebe es nun einmal nicht den einen Ansatz, der alle Zielgruppen anspricht.

Die Berliner SPD-Politikerin Sawsan Chebli schrieb auf Twitter: "So stark. So herzerwärmend. Und so verdammt wichtig." Alessia Prencipe (20) aus Köln sagte dem WDR bei einer Umfrage: "Ich finde das Video ganz gut gemacht und kriege jetzt Gänsehaut, wenn ich dran denke, dass ich später mal meinen Kindern erzählen werde, wie ich Leute gerettet habe, indem ich zu Hause geblieben bin."

User: "Richtig übel, der doppelte Zynismus"

Deutlich werden aber auch diejenigen, die die Clips ablehnen. Die Schriftstellerin Jagoda Marinić sagte dem WDR: "Sorry, aber da fallen mir in Zeiten der Pandemie ganz andere Menschen ein, die einen Clip verdient hätten." Andere Bewertungen in sozialen Medien reichen von "Wollen Sie mich eigentlich komplett verarschen??" über "Absolut erbärmliche Propaganda" bis hin zu "Richtig übel, der doppelte Zynismus: Man verhöhnt nicht nur die Toten des 2. Weltkrieges, sondern auch die Leute, die die Front überlebt haben und davon erzählen konnten."

Ein Ziel hat die Bundesregierung mit den ironischen Videos aber auf jeden Fall erreicht: Aufmerksamkeit. Das bestätigte auch Regierungssprecher Seibert: Die Spots seien millionenfach aufgerufen, geteilt und kommentiert worden - auch im Ausland.

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