Corona im Gefängnis: "Ohne Besuche zerbrechen Familien"

Stand: 27.05.2020, 20:09 Uhr

  • Häftlinge in JVAs klagen über Ausgangs- und Besuchsverbot
  • Keine effiziente Resozialisierung möglich?
  • Gefangenengewerkschaft: Lage in NRW ist "katastrophal"
  • Gefangenenbesuche ab Anfang Juni wieder möglich

Um die Gefahr eines Corona-Ausbruchs in den NRW-Gefängnissen zu minimieren, galten in den vergangenen Wochen sehr strikte Kontaktbeschränkungen - Besuche waren ganz verboten. Am Mittwoch (27.05.2020) hat das NRW-Justizministerium nun erlassen, dass ab dem 02.06.2020 Gefangenenbesuche wieder möglich gemacht werden sollen.

Besuche sollen dann unter diesen Auflagen möglich sein:

  • Der Besuch wird auf eine Person je Besuch beschränkt. Kinder von Gefangenen können als weitere Besuchspersonen zugelassen werden.
  • Bei jedem Besucher ist ein Kurzscreening mittels Fragebogen durchzuführen: Erkältungssymptome / Kontakt mit Infizierten etc.?
  • Die Besucher werden durch Aushänge über die aktuellen Hygienevorgaben und die Verhaltensregeln beim Besuch informiert.
  • Besucher tragen während des Aufenthalts in der Anstalt mindestens eine Mund-Nasen-Bedeckung, die von den Besuchern mitzubringen ist.
  • Während des gesamten Besuchs besteht ein absolutes Körperkontaktverbot zwischen Besucher und Gefangenen.
  • Besucher müssen sich vor dem Besuchskontakt die Hände desinfizieren.
  • Der Mindestabstand muss eingehalten werden; Besuchsräume sind ausreichend zu lüften und die Besuchertische regelmäßig zu desinfizieren.

Gute Nachrichten auch für Manuel Matzke. Er ist Sprecher der Gefangenengewerkschaft GGBO. Da er einen Großteil der Strafe verbüßt hat, ist er im offenen Vollzug in einer JVA in Sachsen: Tagsüber hat er Ausgang und geht arbeiten, übernachten muss er im Gefängnis. Wir haben mit ihm über die Situation in den Gefängnissen geredet.

WDR.de: Sie sind selbst Häftling in einer Anstalt in Sachsen. Wie schwierig ist die Situation derzeit aufgrund der Corona-Beschränkungen?

Manuel Matzke: Die Lage ist sehr angespannt und gleicht stellenweise einem Pulverfass - unter anderem, weil keine Kommunikation, kein Informationsaustausch stattfindet. Zudem spielen die restriktiven Maßnahmen wegen Corona eine Rolle. Wegen der Besuchseinschränkungen ist es ganz schwierig, den Kontakt mit den Familien aufrechtzuerhalten. Wir bleiben eingeschränkt, während draußen immer weiter gelockert wird.

WDR.de: Wie ist im bundesweiten Vergleich aus Ihrer Sicht die Situation in NRW?

Matzke: Katastrophal. NRW öffnet sich immer mehr, aber davon merkt man im Vollzug gar nichts. Da kommt natürlich Unruhe auf. Häftlinge des offenen Vollzugs können dort zum Teil nicht mehr ihrer Arbeit nachgehen und mussten ihren Job hinschmeißen. Zum Teil gibt es auch keine Ausgänge und somit keine effiziente Resozialisierung mehr. Gerade in NRW kommen viele Fragen auf, wie es weitergehen soll.

WDR.de: Welche Folgen haben die Einschränkungen bei Besuchen und Ausgängen?

Matzke: Die Folgen sind schwerwiegend. Was macht das mit der Psyche, wenn eine der wichtigsten Säulen erfolgreicher Resozialisierung wegfällt: die Familienbesuche? Die Familie steht in unserem Land ja unter besonderem Schutz. Dennoch wird das in NRW stellenweise ausgehebelt. Andere Bundesländer ergreifen Maßnahmen, um den Besuch wieder zu ermöglichen. Zwar unter hygienischen Auflagen, aber sie machen es, weil sie merken, dass es Erfolg bringt. Ohne Besuche zerbrechen Familien!

WDR.de: Werden den Häftlingen Alternativen geboten?

Matzke: In NRW nicht wirklich. Es gibt zwar die Möglichkeit zu skypen, aber längst nicht in allen Anstalten. Und selbt wenn es stattfindet, ist das kein adäquater Ersatz.

WDR.de: Was muss auch ihrer Sicht jetzt passieren?

Matzke: Man sollte Freiheitsstrafe, die nicht mehr lange andauern, erlassen und dadurch das System entspannen. Wenn die Pandemie im Vollzug richtig ausbrechen würde, dann kann das System das nicht mehr bewältigen. Es gibt bundesweit nur sechs intensivmedizinische Betten für den Justizvollzug.

Das Interview führte Thomas Kramer

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