Kontaktbeschränkungen, Maskenpflicht und Abstandsgebot: Die Maßnahmen gegen das Coronavirus gehören mittlerweile zu unserem Alltag, wir haben uns mehr oder weniger mit ihnen arrangiert. Ein Jahr nach der Einführung der ersten Kontaktbeschränkungen am 22. März 2020 ist längst klar - was wir gerade erleben ist historisch. Die Pandemie wird in die Geschichtsbücher eingehen.
Wie das Jahr verlief und was es mit uns gemacht hat, haben wir hier in einer Multimedia-Reportage dargestellt:
"Ein Grund dafür sind auf jeden Fall die beispiellosen Maßnahmen, die im Kampf gegen Corona ergriffen wurden", sagt der Historiker Malte Thießen, der sich unter anderem mit der Geschichte der Gesundheit, Gesundheitsvorsorge und des Impfens beschäftigt. "Es gibt aber noch zwei weitere Faktoren, die dafür sorgen, dass diese Pandemie stärker im Gedächtnis bleiben wird als beispielsweise die Spanische Grippe oder die Hongkong-Grippe."
Corona besser dokumentiert als Spanische Grippe
Anders als bei diesen beiden zurückliegenden Pandemien, bei denen in Deutschland rund 400.000 Menschen (Spanische Grippe, 1918-1920) beziehungsweise 50.000 Menschen (Hongkong Grippe, 1969/70) starben, ist die Corona-Krise (seit 2020, bislang rund 73.000 Tote in Verbindung mit Covid-19) besser dokumentiert.
"Die Quellendichte ist einzigartig", so Thießen, der das LWL-Institut für westfälische Geschichte in Münster leitet. "Von keiner anderen Pandemie gibt es so viele Berichte und vor allem Fotos." Gerade Bilder blieben im Gedächtnis hängen und hätten eine starke emotionale Wirkung.
Pandemie beschädigt Sicherheitsgefühl
Ein weiterer Grund, warum die Corona-Pandemie in die Geschichte eingehen werde, zeigt sich laut Thießen auch in den Protesten gegen die Maßnahmen: "Wir empfinden die Pandemie nämlich als eine Kränkung des modernen Lebens."
Seit den 1980er und 90er Jahren gebe es durch den Fortschritt der Medizin und vor allem das deutsche Gesundheitssystem, das die Behandlung jedem zugänglich mache, ein wie selbstverständliches Sicherheitsgefühl. Und das werde durch Corona stark beschädigt.
Maßnahmen als Verletzung der Selbstbestimmung
Das zeige sich auf der einen Seite an den Menschen, die die Regierung kritisieren, weil sie ihrer Meinung nach nicht genug gegen die Pandemie unternehme. "Andererseits hat dieses Selbstverständnis auch die Einstellung zu Körper und Gesundheit geändert", erklärt der Historiker.
Krankheiten wie die Pocken, Masern oder Scharlach stellen heute keine ernsthafte Bedrohung mehr dar. So entsteht oft ein Lebensgefühl, sich mit Sport, gesunder Ernährung und frischer Luft selbst um seine Gesundheit kümmern zu können. In einer Pandemie sei das aber nicht möglich, so Thießen. Hier sei der Staat gefragt, auch um die Allgemeinheit zu schützen.
Früher wurde in Kauf genommen, dass Ältere sterben
"Einige Menschen sehen Maßnahmen wie Maskenpflicht, Kontaktbeschränkungen und auch die Bitte, sich impfen zu lassen, als eine Verletzung der Selbstbestimmung über ihren Körper an", sagt Thießen. Genau aus diesem Grund appelliere die Politik immer wieder an die Solidarität der Bürger.
Das war nicht immer so. Sowohl während der Spanischen als auch der Hongkong Grippe wurde in Kauf genommen, dass vor allem alte und Menschen mit Vorerkrankungen starben. Dieses Risikoempfinden habe sich aber geändert, erklärt Thießen. "In der Corona-Pandemie ist das Motto: 'Keiner darf zurückbleiben'. Und das ist auch gut so!"