Die jüngsten Zahlen ließen aufhorchen: In St. Augustin bei Bonn wurden innerhalb weniger Tage 130 neue Corona-Infizierte registriert. Euskirchen meldete mehr als 50 Personen, die Stadt Mettmann über 30. Obwohl unterschiedliche Städte betroffen waren, hatten alle Fälle eine Gemeinsamkeit: Sie traten in Flüchtlingsunterkünften auf. Dort, wo viele Menschen dicht an dicht leben (müssen), kann sich das Coronavirus besonders gut verbreiten.
Im Kreis Coesfeld hatte die hohe Zahl an Infizierten unter Arbeitern eines Westfleisch-Betriebes sogar dazu geführt, dass dort die Schutzmaßnahmen gegen das Coronavirus erst mit einer Woche Verspätung gelockert werden konnten. Mindestens 268 Westfleisch-Mitarbeiter hatten sich infiziert - weil auch sie teils auf engstem Raum in günstigen Unterkünften zusammenlebten.
Erntehelfer gehen auf die Straße
Seitdem geht die Angst um bei Werk- und Saisonarbeitern in NRW - und die Arbeiter gehen auf die Straße. Am Montag (18.05.2020) haben 50 Erntehelfer eines Spargelhofs in Bornheim demonstriert, um auf Hygienemängel in den dicht gedrängten Baucontainern aufmerksam zu machen. Dort sollen 240 Erntehelfer in beengten Verhältnissen untergebracht seien, teils zu viert oder zu fünft auf einem Zimmer.
Armut macht krank
"Menschen, die in prekären Lebensverhältnissen sind, können sich leichter infizieren", weiß Dr. Cihan Çelik. Er ist Funktionsoberarzt auf der Isolierstation für Covid-19-Kranke am Klinikum Darmstadt. "Wir haben auch aus anderen Ländern gesehen, dass die Menschen, die einen niedrigeren sozialen Status haben, mehr gefährdet sind." Kurz: Armut macht krank. Aber warum ist das so?
Schutzmaßnahmen werden zur Bedrohung
"Ärmere Menschen haben vielleicht eine größere Scheu, zu Ärzten zu gehen und sitzen Krankheiten eher aus", vermutet die Soziologin Sabine Hark. Außerdem sei die Ernährung oft schlechter, weil sie sich nur schlechtere Lebensmittel leisten könnten.
Auf der biologischen Zell-Ebene seien zwar alle Menschen gleich gefährdet, durch das Coronavirus zu erkranken. "Aber es gibt große Unterschiede, wie anfällig man für den schweren Verlauf ist - aufgrund seiner Vorerkrankungen oder Lebensumstände", erläutert Dr. Cihan Çelik. Studien belegen, dass Armut die Lebenserwartung um vier bis acht Jahre verkürzt - auch ohne Corona. Das Virus verschärft die Situation nur noch.
Dabei stellt für Menschen in prekären Verhältnissen nicht nur die Krankheit selber eine Bedrohung dar, sondern - so paradox das klingen mag - auch die Schutzmaßnahmen. "Denn die bedeuten viel größere Existenzängste für diese Menschen", gibt Çelik zu bedenken.