Bislang hat der Gütersloher Landrat Sven-Georg Adenauer nur gegen das Coronavirus gekämpft. In seinem Kreis herrscht gerade das größte Infektionsgeschehen von ganz Deutschland. Doch mittlerweile gibt es noch einen anderen Gegner: die Stigmatisierung des Kreises und seiner Bewohner.
Brände unter Autos gelegt
Wie schon im Kreis Heinsberg am Anfang der Pandemie sehen sich jetzt die Gütersloher und Warendorfer mit einem Generalverdacht konfrontiert. Zusammen wohnen 640.000 Menschen in diesen beiden Kreisen. Bei Landrat Adenauer sorgt das für Wut. "Ich habe sogar schon von einem Fall gehört, dass ein Auto zerkratzt worden sein soll, von einem, der ein GT-Kennzeichen hat. Das ist natürlich heftig und geht überhaupt nicht", sagte er am Mittwoch (24.06.2020) auf einer Pressekonferenz.
In der Nacht auf Dienstag haben Unbekannte in Beckum (Kreis Warendorf) versucht, zwei Autos rumänischer Schlachthof-Arbeiter anzuzünden. Die Täter konnten flüchten, die Polizei ermittelt.
Maskenpflicht in Münster erweitert
Übel aufgestoßen ist dem Landrat auch eine Entscheidung aus dem benachbarten Münster. Dort gelten seit Mittwoch verschärfte Regeln: Wer aus dem Großraum Gütersloh und Warendorf - wo es ebenfalls hohe Coronazahlen gibt - nach Münster kommt, muss in der Öffentlichkeit und am Arbeitsplatz einen Mund-Nasen-Schutz tragen, wenn kein Abstand gehalten werden kann.
Landrat Adenauer übt scharfe Kritik an der Regel. Er halte das für "diskriminierend" und "stigmatisierend". "Das ist aus meiner Sicht nicht zu tolerieren." Ein Stadtsprecher aus Münster erwidert: "Da das Infektionsgeschehen und seine Ursachen hinlänglich bekannt sind, hält die Stadt eine Stigmatisierung für abwegig." Kontrollen werde es "nur aus gegebenem Anlass" geben.
Inzwischen hat auch die Uniklinik Münster reagiert. Wer seinen Wohnsitz in den beiden Kreisen hat, wird am Donnerstag nur noch behandelt, wenn ein negativer Coronatest vorliegt. Das gilt für alle ambulanten und stationären Patienten. Bis auf ein paar Ausnahmen dürfen auch Besucher aus den Kreisen nicht mehr kommen.
Osnabrück: Keine Freibad-Gäste aus Hotspot-Kreisen
Im niedersächsischen Landkreis Osnabrück sollten ab Mittwoch sogar dieselben Regeln für Menschen aus Gütersloh und Warendorf gelten wie in deren Heimatkreisen. Das heißt: keine Besuche von Museen, Ausflugszielen, Veranstaltungsorten und Sportanlagen.
"Damit wollen wir niemanden schikanieren oder diskriminieren", sagte ein Sprecher. Allerdings mache es aus Infektionsschutzgründen zum Beispiel keinen Sinn, wenn nach der Schließung der dortigen Freibäder nun nach Osnabrück ausgewichen werde.
Quasi-Einreiseverbote in anderen Bundesländern
Doch nicht nur in der Region gibt es Ärger. Auch wer aus den Kreisen Gütersloh und Warendorf in den Urlaub will, kann sich wie unter Generalverdacht fühlen. In mehreren Bundesländern herrschen nämlich Einreise- oder Beherbergungsverbote, weil in beiden Kreisen die Infektionszahlen so hoch sind.
Betroffen sind bislang Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Bayern. Österreich warnt vor Reisen nach NRW.
Landrat Adenauer hat keinerlei Verständnis für diese Schritte. "Das halte ich für völlig inakzeptabel." Abseits der Corona-Fälle aus der Tönnies-Schlachterei gebe es fast keine Infektionen im Kreis. Derzeit seien es 32 - bei 363.000 Einwohnern.
Neu ist all das nicht. Schon nach dem schweren Corona-Ausbruch in Heinsberg hatten Menschen dort über Ausgrenzungen und Anfeindungen berichtet. So sollen Autofahrer mit Heinsberger Kennzeichen an manchen Tankstellen und Geschäften außerhalb des Kreises nicht bedient worden sein. Auch wurde an manchen Autos angeblich der Lack zerkratzt. Den Bürgern aus Gütersloh und Warendorf könnte nun ähnliches drohen.