Intensivmediziner zu neuen Corona-Regeln: "Von der Politik allein gelassen"
Stand: 26.11.2020, 16:25 Uhr
Er wächst und wächst, der Druck auf den Intensivstationen wegen der zunehmenden Zahl von Corona-Patienten. "Wir werden es schaffen", sagt Intensivmediziner Uwe Janssens - unter Ächzen und Krächzen.
Wieder ins Restaurant, ins Fitnessstudio oder ins Museum gehen - daraus wird vorerst nichts. In Deutschland gibt es täglich um die 20.000 Corona-Neuinfektionen. Und bei immer mehr Patienten nimmt die Erkrankung einen schweren Verlauf. Zuletzt stieg nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) binnen 24 Stunden die Zahl der Corona-Toten in Deutschland um 389 auf 15.160.
Um die Pandemie in den Griff zu bekommen, haben Bund und Länder jetzt eine Verlängerung des Teil-Lockdowns vorerst bis zum 20. Dezember und verschärfte Kontaktbeschränkungen beschlossen. Aber reicht das? Nein, sagt Uwe Janssens, Präsident der Deutschen interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi), dem WDR. Deutschlands Intensivmediziner fühlen sich von der Politik allein gelassen.
WDR: Was sagen Sie zu den jetzt beschlossenen Regeln?
Janssens: Die Infektionszahlen sind weiter auf einem hohen Niveau. Das einzige, was wir erreicht haben, ist, das Wachstum abzuschwächen. Ansonsten schweben die Zahlen auf einem hohen Niveau, was wir im März/April diesen Jahres niemals gehabt haben. Wir haben fast viermal so viele Neuinfektionen pro Tag als im März und April. Das belastet natürlich irgendwann das Gesundheitssystem insgesamt und hier natürlich die Intensivstationen. Und, glauben Sie mir, in den letzten Tagen und Wochen nimmt der Druck auf den Intensivstationen auch bei den Maximalversorgern im Uniklinikum Köln, im Uniklinikum Düsseldorf, im Uniklinikum Aachen, aber auch in kleineren Kliniken deutlich zu. Wie lang das noch gehen wird und toleriert werden kann, das sei mal dahin gestellt.
WDR: Das Schlimmste, nämlich die Überforderung des Gesundheitssystems, konnte verhindert werden, sagt die Kanzlerin – das sehen Sie also nicht so?
Janssens: Man wundert sich schon sehr, wie die Politik das einfach wegstreicht und überhaupt nicht daran denkt, was tatsächlich sich auf den Stationen im Moment abspielt. Wir haben zwar in Deutschland scheinbar ausreichend Intensivbetten in Deutschland, aber bezogen auf 1.280 meldende Krankenhäuser sind das vielleicht zwei bis drei freie Intensivbetten pro Krankenhaus. Das ist einfach nicht genug, vor allen Dingen, wenn man so weitermachen würde, wie man das bisher gemacht hat.
Täglich rund 20.000 Neuinfektionen, das sind pro Woche 140.000 Infektionen , dann haben wir zwei bis drei Wochen später, wenn wir Pech haben, 1.000 bis 2.000 neue Intensivpatienten. Darauf zu spielen, das ist natürlich gewagt. Wir werden das schaffen, das Personal wird das schaffen, aber unter Ächzen und Krächzen. Und da fühlen wir uns ein bisschen alleingelassen von der Politik. Die Gesellschaft verstehen wir sehr wohl, die Sorgen und Nöte der Menschen. Wir verstehen auch, dass wir Weihnachten die Menschen zusammenführen müssen. Aber wenn dann zwei, drei Wochen später als Folge der aufgehobenen Beschränkungen die Infektionszahlen wieder steigen, dann werden wir uns wieder sprechen.