Seit dem Beginn der Corona-Pandemie haben Verschwörungstheorien Konjunktur. Auch am Samstag (09.05.2020) waren zahlreiche Demonstrationen in ganz NRW angemeldet, bei denen die Teilnehmer für Grundrechte, gegen Impf- und Maskenpflicht, Bill Gates oder die vermeintliche Inszenierung der Corona-Krise protestieren wollen. Der WDR sprach mit der Politikwissenschaftlerin und Bürgerrechtlerin Katharina Nocun darüber, was diese Menschen antreibt.
WDR: Frau Nocun, warum gibt es so viele Verschwörungstheorien um das Coronavirus?
Katharina Nocun: Aus psychologischer Sicht ist eine solche Pandemie der perfekte Nährboden für Verschwörungsmythen. Wenn wir das Gefühl von Kontrollverlust haben, dann neigen wir dazu, dass wir dieses Gefühl kompensieren wollen. Und der Glaube an Verschwörungen kann so ein Mechanismus sein.
WDR: Inwiefern?
Nocun: Wenn ich mir vorstelle, dass es die Corona-Krise nur gibt, weil ein paar mächtige Menschen mit bösen Plänen dahinter stecken, dann ist das keine schöne Vorstellung, allerdings habe ich für mich klare Schuldige identifiziert. Und das hilft einigen Menschen, damit umzugehen.
WDR: Ist das der Moment, an dem Bill Gates ins Spiel kommt?
Nocun: Im Bezug auf die Corona-Verschwörungsmythen: ja. Allerdings ist das auch etwas, das die meisten Erzählungen gemein haben. Sie ranken sich um einflussreiche Gruppen oder mächtige oder berühmte Menschen.
WDR: Aber warum ausgerechnet der Microsoft-Gründer?
Nocun: Das hängt mit einem Video zusammen, in dem Gates vor einigen Jahren davor warnte, dass es wieder eine Pandemie geben könnte. Gates, der sich mit der gemeinsamen Stiftung mit seiner Frau sehr im Bereich Impfungen engagiert, fasst in dem Video eigentlich nur die Erkenntnisse vieler Wissenschaftler zusammen. Damit will er zeigen, wie wichtig es ist, die WHO zu unterstützen und sich für eine neue Pandemie zu wappnen. Die Verschwörungsideologen behaupten aber, dass er das sagt, weil er weiß, dass eine Pandemie kommen wird. Eben, weil er sie selbst mit geplant hat.
WDR: Inwieweit wirkt sich dieses gemeinsame Feindbild auf die Zusammensetzung der Corona-Verschwörungstheoretiker aus?
Nocun: Das hat zur Folge, dass es passieren kann, dass bei einer Demo ein stramm rechtsextremer Reichsbürger, der das demokratische System in Deutschland stürzen will, neben einer Hausfrau und Mutter steht, die nicht will, dass ihre Kinder geimpft werden. Jeder nimmt die Mythen um das Coronavirus und knüpft sie an die bereits bestehenden Verschwörungserzählungen an.
WDR: Aber warum glauben Menschen solche abstrusen Theorien?
Nocun: Das hängt auch mit den Sozialen Medien zusammen. Viele Verschwörungserzählungen werden zum Beispiel über YouTube verbreitet. Der Algorithmus der Plattform ist so programmiert, dass er dem Zuschauer immer wieder ähnliche Videos anbietet. Das heißt, wenn ich ein Verschwörungs-Video schaue, bekomme ich direkt das nächste angeboten. Dadurch geraten die Menschen wie in eine Blase. Das wirkt wie ein Radikalisierungsbeschleuniger. Wobei man sagen muss, dass der Konzern nach Kritik in den letzten Jahren hier deutlich nachgebessert hat.
WDR: Wie kann man solche Menschen aus so einer Blase wieder herausholen?
Nocun: Verständnis und Respekt ist ganz wichtig. Wenn man so einen Fall im Bekanntenkreis hat, sollte man unter vier Augen mit der Person sprechen. Wir alle haben gerade mit der Corona-Krise zu kämpfen. Vielleicht ist er oder sie gerade in einer schwierigen Situation, hat Angst, den Job zu verlieren, ist überfordert und deshalb besonders anfällig für solche Erzählungen. Oft hilft es, diesen Menschen zuzuhören. Man muss aber auch ganz klar sagen: Diese Verschwörungsmythen sind falsch.
Das Gespräch führte Cosima Gill