Vier Wochen lang keine Restaurant- und Kneipenbesuche, kein Theater oder Konzert, kein Fitnessstudio oder Schwimmbad: Die Pläne der Bundesregierung zur Eindämmung der rasant steigenden Corona-Infektionszahlen stoßen auf scharfe Kritik. Der Widerstand kommt aus vielen Richtungen: Politik, Kultur, Wirtschaft und Wissenschaft.
Gastronomie befürchtet drastischen Einschnitt
Insbesondere die Pläne, alle gastronomischen Betriebe im November zu schließen, stoßen auf Kritik. "Die Gastronomie ist bisher nicht als ein Hotspot erkannt worden", erklärte der Kölner Virologe Rolf Kaiser am Dienstagabend in der "Aktuellen Stunde". Ob der drastische Schritt wirklich großen Einfluss auf die Infektionszahlen haben werde, sei zumindest zweifelhaft. Er könne sogar einen gegenteiligen Effekt haben, wenn sich das gesellige Leben wieder vollständig in den privaten Bereich verlagert.
Auch die Betroffenen fühlen sich völlig zu Unrecht schikaniert. Schon jetzt stünden rund ein Drittel der Betriebe vor dem Aus, warnt der Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga). Ein Monat Zwangspause werde unzählige Existenzen zerstören.
FDP hält Schließungen für verfassungswidrig
Auch aus der Politik gibt es Zweifel an dem "Lockdown" für die Gastronomie: "Das hielte ich für unnötig und deshalb auch für verfassungswidrig", erklärte FDP-Chef Christian Lindner am Mittwochmorgen. Sein Parteikollege Wolfgang Kubicki sprach am Mittwoch im Deutschlandfunk von "Alarmismus". Die Beschlüsse würden einer gerichtlichen Überprüfung wahrscheinlich nicht Stand halten.
Ganz abwegig sind solche Überlegungen nicht. Auch Klagen gegen das "Beherbergungsverbot", das viele Bundesländer für Touristen aus Risikogebieten ausgesprochen hatten, waren meist erfolgreich. Auch damals hatten die Richter argumentiert, dass Hotels bisher nicht als Infektions-Hotspots auffällig geworden sind. Verbote wären deshalb nicht verhältnismäßig.
Auch die neuen Corona-Maßnahmen der Bundesregierung sehen ein Verbot von touristischen Übernachtungen im Inland vor. Ob der "Lockdown" für Hotels diesmal einer juristischen Überprüfung stand hält, ist zumindest zweifelhaft.
Kassenärzte: "Widersprüchlich, unlogisch"
Selbst die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) hatte sich am Mittwoch in einem Positionspapier deutlich gegen "reflexhafte" Schließungen ausgesprochen. Sobald sich Verordnungen als "widersprüchlich, unlogisch und damit für den Einzelnen als nicht nachvollziehbar" darstellten, entstehe ein Akzeptanz- und Glaubwürdigkeitsproblem.
"Wir könnten diejenigen verlieren, die wir dringend als Verbündete im Kampf gegen das Virus brauchen", heißt es in dem Papier, zu dessen Unterzeichnern auch der Bonner Virologe Hendrik Streeck gehört.
Ursprung von vielen Fällen bleibt unbekannt
Tatsächlich macht sich die Bundesregierung mit ihren Schließungen angreifbar - weder Restaurants, noch Hotels oder Theater sind bisher als häufige Ansteckungsorte in Erscheinung getreten. Im Gegensatz zu Schulen oder dem Arbeitsplatz.
Allerdings hat die offizielle Statistik des Robert Koch-Instituts auch Schwächen. Denn nur rund ein Viertel der Fälle kann derzeit einem konkreten Ausbruchsgeschehen zugeordnet werden. Und da spielt die Gastronomie tatsächlich eine geringe Rolle. Aber drei Viertel der Fälle fallen komplett aus dem Raster, da der Ursprung unbekannt ist. Wie groß der Anteil der Gastronomie dort ist, weiß niemand.
Ausnahmezustand aus psychologischen Gründen?
Möglicherweise liegt der eigentliche Sinn des "Lockdowns" letztlich darin, die Krise wieder für jedermann sichtbar zu machen. Denn die Angst vor Corona hat Umfragen zufolge in den vergangenen Monaten deutlich nachgelassen. In einer aktuellen Studie von Uni Erfurt und Robert Koch-Institut heißt es, das "gefühlte Risiko" sei der wichtigste Anhaltspunkt dafür, ob und wie diszipliniert sich Menschen an Corona-Regeln halten. Geschlossene Kneipen könnten dieses Risikobewusstsein möglicherweise steigern.