Kommentar: Modellkommunen sind wieder der zweite Schritt vor dem ersten
Stand: 09.04.2021, 18:18 Uhr
Stolz präsentierte NRW-Wirtschaftsminister Pinkwart die 14 Städte und Kreise, die noch im April als Modellregionen an den Start gehen. Das Problem: Das Konzept passt nicht zur Realität. Ein Kommentar.
Von Arne Hell
Das Ganze erinnert mich an die Wahlplakate, die die FDP vor ein paar Jahren aufhängen ließ. „Digital first, Bedenken second“ stand darauf, also mit anderen Worten: Wir müssen endlich digital durchstarten, ohne Rücksicht auf Bedenkenträger.
Genau so soll jetzt offenbar auch der Pandemie begegnet werden. Nicht mit Bedenken und Lockdown, sondern mit Digital durchstarten - in Modellregionen, die testen, testen, testen und alle Kontakte per App lückenlos nachvollziehen.
Klingt nach Aufbruch
Tolle, innovative Konzepte hätten die Städte und Kreise dafür vorgelegt, sagt Wirtschaftsminister Pinkwart. Bürgermeister und Landräte sind stolz, ausgewählt worden zu sein. In 10 Tagen soll es losgehen.
Klingt super. Klingt nach Aufbruch. Und klar, wer hätte nicht endlich mal wieder Lust auf Schwimmbad, Kino oder Essen gehen? Das Problem ist nur: Das Konzept passt nicht zur Realität. Wir befinden uns nämlich in einer wirklich kritischen Phase dieser elenden Corona-Pandemie.
Pandemiemüdigkeit und Trügerische Infektionszahlen
Die neue Virusvariante ist deutlich ansteckender. Gleichzeitig sind viele müde und halten sich im Privaten nicht mehr an die Regeln. Und die Politik findet nicht die Kraft für härtere, wirkungsvollere Maßnahmen, wie sie in anderen Ländern Europas durchgezogen wurden.
Dass die Infektionszahlen seit ein paar Tagen sinken, dürfte mit Meldeproblemen rund um Ostern zu tun haben - bis kurz vor Ostern sind sie geradezu explodiert. Die logische Folge: Die Intensivstationen füllen sich. Menschen sterben.
In so einer Phase, das haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mehrmals erklärt, kann man mit Testen und Kontakt-Nachverfolgung allein nicht gewinnen. Zumal das ja jetzt alles erst erprobt wird und noch gar nicht reibungslos funktioniert. So rennt man hinterher. Das Virus schlüpft durch.
Der zweiten Schritt vor dem erstem
Ich dachte, Ministerpräsident Armin Laschet hätte das erkannt, als er über die Ostertage nachgedacht hat und danach einen „Brücken-Lockdown“ angekündigt hat, eine Kraftanstrengung. Vorher könnten die Modellregionen nicht starten, hat er gesagt. Das ist vier Tage her.
Stattdessen macht die NRW-Landesregierung jetzt wieder einmal den zweiten Schritt vor dem ersten. Anstatt erst die Zahlen runter zu kriegen und dann mit den Modellregionen zu starten!
Riskantes Manöver
Der „Brücken-Lockdown“ hat sich damit wahrscheinlich erledigt. Dass die FDP das gut findet, ist klar. Sie predigt schon lange, dass wir „mit dem Virus leben lernen“ müssten. Doch für Armin Laschet und die CDU ist das riskant. Ihnen dürften es viele ihrer Wählerinnen und Wähler übel nehmen, wenn das Virus jetzt, wenige Monate vor einer Impfung, nochmal richtig um sich greift.