Nicole Schulze, selbst Sexarbeiterin und Vorstandsmitglied im "Berufsverband erotische & sexuelle Dienstleistungen", beklagt, ihre Kolleginnen und Kollegen bekämen auch keine staatlichen Hilfen. Aber ohne Verdienst und ohne Unterstützung treibe das viele in die Illegalität.
WDR: Frau Schulze, Sie arbeiten ebenfalls als Sexarbeiterin. Wie ist Ihre persönliche Situation?
Nicole Schulze: Ganz, ganz schlecht. Ich werde auch bald in die Illegalität müssen, wenn ich meine Rechnungen bezahlen will und meinen Kühlschrank füllen. Man hat versucht, alles richtig zu machen, man hat Steuern bezahlt und jetzt sowas. Das ist menschenunwürdig.
WDR: In Nordrhein-Westfalen sind sexuelle Dienstleistungen weiter untersagt. Dagegen wollen am Mittwoch Sie und andere Sexarbeiter auf der Kölner Domplatte demonstrieren. Was fordern Sie von der Landesregierung?
Schulze: Wir fordern eine Perspektive. Eine legale Ausübung unserer Arbeit, wie sie mit entsprechenden Schutzmaßnahmen wie in Belgien oder den Niederlanden längst wieder möglich ist.
WDR: Das dafür zuständige Gesundheitsministerium in NRW schreibt, eine Öffnung sei kaum vorstellbar, solange in anderen Lebensbereichen massive Restriktionen gelten wie Abstand, Maskenpflicht und Rückverfolgbarkeit von Infektionsketten.
Schulze: Bereiche wie Massage-Salons und Tattoo-Studios sind auch offen. Da ist Abstandhalten auch nicht möglich. Aber mit Hygienekonzepten ist dort eine Lösung gefunden worden. Auch wir haben ein Hygienekonzept vorlegt, allerdings ist das bisher ignoriert worden.
WDR: Was beinhaltet dieses Konzept?
Schulze: Der Kunde kommt mit Maske. Das Vorgespräch findet mit Maske und Abstand statt. Auch während der sexuellen Dienstleistung behält er die Maske auf. Er hinterlässt Daten, die aufbewahrt werden. Hygienemaßnahmen wie Desinfektion und Duschen sind sowieso Standard.
WDR: Wie wollen Sie denn sicherstellen, dass die Daten korrekt sind, die da hinterlassen werden?
Schulze: Das können wir nicht. Aber das kann ja auch kein Restaurant und kein Freibad. Wir sind da zu Gesprächen bereit, aber bisher redet niemand aus der Politik mit uns. Sexarbeit ist ein Tabu und wir haben keine Lobby.
WDR: Welche Folgen hat das?
Schulze: Wir bekommen keine staatlichen Hilfen. Die Existenznot der Kolleginnen und Kollegen ist groß. Deshalb steigt täglich die Zahl der Sexarbeiter, die illegal arbeiten müssen. Von den Frauen, die ich vom Straßenstrich in Köln kenne, würde ich schätzen, jede fünfte, arbeitet schon illegal. Das bedeutet Herzrasen, Angst, psychischen Druck. Es macht mich wütend, dass die Politik uns dahin drängt.
Das Interview führte Carsten Upadek.
Finanzielle Hilfe für Sexarbeiterinnen
Das NRW-Wirtschaftsministerium weist darauf hin, dass die Landesregierung seit Beginn der Pandemie verschiedene Hilfsprogramme für Solo-Selbstständige, Freiberufler und kleine Unternehmen aufgelegt habe, die auch für Prostituierte gelten: Nach der "Soforthilfe" sei die "Überbrückungshilfe" gestartet. Damit könnten Umsatzausfälle aus den Monaten Juni bis August ausgeglichen und betriebliche Fixkosten gedeckt werden.
Da Kosten des privaten Lebensunterhalts im Bundesprogramm nicht abgedeckt werden, habe NRW mit der "NRW Überbrückungshilfe Plus" außerdem ein eigenes Zusatzprogramm für Solo-Selbstständige und Freiberufler aufgelegt: Sie erhalten eine einmalige Zahlung in Höhe von 1.000 Euro pro Monat für maximal drei Monate.
"Die Antragstellung steht auch Prostituierten offen und erfolgt über einen beauftragten Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder vereidigten Buchprüfer", so das Ministerium. Auf einem Antragsportal der Bundesregierung könnten diese sich registrieren und vom 10. Juli 2020 an Anträge stellen. "Sollten Prostituierte nicht die Voraussetzungen erfüllen, steht ihnen die Grundsicherung nach SGB II zu. Hier hat der Bund einige Regelungen erheblich gelockert, um in der Krise schnell und wirksam helfen zu können."