Mit 100 Stundenkilometern darf man oft unterwegs sein, rechts und links stehen Bäume nur wenige Meter vom Straßenrand entfernt, zwei Spuren für zwei Verkehrsrichtungen, kein Mittelstreifen - das ist die Verkehrssituation auf vielen Landstraßen. Das klingt nicht nur gefährlicher als Fahrten über die mehrspurige Autobahn oder durch die deutlich entschleunigte Innenstadt - es ist auch gefährlicher.
Verkehrswacht fordert Tempo-Drosselung auf 80
Die meisten Menschen sterben bei Verkehrsunfällen auf Landstraßen. 2022 waren es bundesweit 841 Pkw-Fahrer, während bei Unfällen auf Autobahnen (181) und Innerorts (170) deutlich weniger Tote zu betrauern waren. Das hat Ursachen, von denen sich einige vermeiden ließen.
So hat Heiner Sothmann, Sprecher der Deutschen Verkehrswacht, am Freitag im WDR-Gespräch gefordert, über die zulässige Geschwindigkeit auf Landstraßen für mehr Sicherheit zu sorgen: "Wenn wir dort ein anderes Tempolimit hätten, nämlich alles auf 80 km/h drosseln würden, dann können wir tatsächlich auch wissenschaftlich nachweisen, dass dort deutlich, deutlich mehr Unfälle mit Getöteten, schwer und schwerst Verletzten eben verhindert werden können."
Über ein Tempolimit auf Autobahnen redet man viel häufiger, aber das Potenzial zur Vermeidung von Verkehrstoten, sei auf der Landstraße viel größer. "Auf der Autobahn haben Sie sehr günstige Bedingungen", erklärt Sothmann. Alle Autos fahren in dieselbe Richtung, es gibt keine Kreuzungen, keine Radfahrer, keine Fußgänger. Aber auch dort ließen sich die Unfälle mit einem Tempolimit seiner Ansicht nach reduzieren.
Dass es auf den Schnellstraßen im ländlichen Raum gefährlicher sei, liege in der "Natur der Sache". Damit meint Sothmann nicht nur die Bäume am Wegesrand, sondern auch den Verkehrsmix: "Weil eigentlich alle Verkehrsträger, die wir so kennen, alle Verkehrsteilnahmearten dort vertreten sind, plus Landmaschinen." Hinzu kämen noch Wildunfälle, und das alles gepaart mit der hohen Geschwindigkeit berge eben große Gefahren, weshalb sich die Verkehrswacht für ein Tempolimit einsetze.
Professor Suthold fordert konsequente Sanktionen gegen Raser
Im WDR-5-Stadtgespräch am Donnerstag in Kleve zeigte sich Professor Roman Suthold vom ADAC Nordrhein von einer Geschwindigkeitsbegrenzung auf 80 km/h auf Landstraßen nicht überzeugt. In Frankreich habe man das 2018 eingeführt, wobei Unfallfolgen - die immer von der Geschwindigkeit abhängig seien - zwar abgemildert werden konnten, die großen Effekte aber ausblieben. Suthold favorisiert bauliche Maßnahmen wie die Einrichtung von Überholspuren auf langen, geraden Abschnitten.
Bei den schweren Unfällen sieht er eine bestimmte Personengruppe als Hauptproblem an: "Man muss eigentlich die Raser einfangen. Da muss man anders ansetzen." Konsequente Kontrollen und die Ahndung von Verstößen seien wichtig. "Das heißt, im Zweifel auch das Fahrzeug wegnehmen", riet Suthold.
Bei den Unfällen spielen junge Fahrer und Fahrerinnen nach wie vor eine große Rolle: "18- bis 24-Jährige verursachen deutlich mehr Unfälle im Straßenverkehr", teilte ADAC-Sprecherin Katharina Lucà am Freitag auf WDR-Anfrage mit - auch wenn die Zahlen rückläufig seien. Der Führerschein mit 17, der in NRW bereits 2005 eingeführt worden ist, habe sich positiv ausgewirkt. "Unfälle konnten reduziert werden und durch das Mehr an Fahrpraxis gibt es auch ein Mehr an Verkehrssicherheit", so Lucà.
Trügerische Sicherheit - Fahrer sind sich der Gefahren nicht bewusst
Aufgrund der vielen schweren Unfälle habe die ADAC-Unfallforschung die Ursachen der Landstraßenunfälle genauer untersucht und herausgefunden, dass "die meisten derartigen Unfälle passieren, weil die Fahrer abgelenkt sind oder die Kontrolle über ihr Fahrzeug verlieren". Dann kämen sie von der Straße ab oder gerieten in den Gegenverkehr. Bei nur zwei Fahrstreifen und Bäumen neben der Straße ist das hochgefährlich. Auch seien Kreuzungen und Einmündungen eher Unfallbrennpunkte.
Unisono verweisen Verkehrswacht und ADAC auf das Problem, dass sich die Verkehrsteilnehmer der Gefahren auf der Landstraße nicht bewusst seien. Zwischen subjektivem Sicherheitsempfinden und objektver Sicherheit klaffe eine große Lücke - "also, ich fühl mich viel zu sicher für die Umgebung, die ich eigentlich habe", so Sothmann. Letztere sei auf Landstraßen sehr gefährlich.
Schwerer Unfall auf der Landstraße: "Die Welt hört auf, sich zu drehen"
Das Landstraßen sehr gefährlich sind, das hat Thorsten Strohschän am 19. Oktober 2023 von jetzt auf gleich erfahren müssen. Mitten in der Nacht klingelt es bei im an der Tür, der Opferschutz der Polizei ist da - mit einer schlimmen Nachricht: Sein Sohn wurde bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt, schwebt in Lebensgefahr.
Felix, 19, der Sohn von Thorsten Strohschän, war Beifahrer, die Fahrt endete an einem Baum auf der B9 in Geldern im Kreis Kleve. 60 Meter weiter blieb das Fahrzeug auf dem Dach liegen. Der Unfallfahrer und auch Felix waren alkoholisiert. Bei hoher Geschwindigkeit verlor der Fahrer die Kontrolle über
das Auto. "Alles wird schwarz, emotional bricht man komplett weg, dann braucht man ne ganze Zeit, um es zu verarbeiten und zu realisieren.", erzählt Thorsten Strohschän im WDR5-Stadtgespräch.
Mittlerweile geht es Felix wieder besser, er kämpft sich ins Leben zurück. Entgegen erster Prognosen kann er langsam wieder laufen, das Gleichgewicht halten. Sein Ziel: er will unbedingt wieder im Straßenbau arbeiten - wenn es irgendwie möglich ist. Aber: der Unfall auf der Landstraße - er hat sein Leben und das seiner Angehörigen von jetzt auf gleich massiv verändert.
Quellen:
- Heiner Sothmann, Sprecher der Deutschen Verkehrswacht, im WDR-Gespräch
- Prof. Dr. Roman Suthold, ADAC Nordrhein, beim WDR5 Stadtgespräch
- Thorsten Strohschähn, beim WDR5 Stadtgespräch
- WDR-Interview mit ADAC-Sprecherin Katharina Lucà
- ADAC Unfallforschung
- Statistisches Bundesamt