Mit seinem Zeigefinger versucht Jan Maik Schlifter das rote Zeug abzukratzen – erfolglos. Was da an der Fassade des kleinen Parteibüros vom FDP-Vorsitzenden klebt, könnte Rote-Beete-Saft sein, aber wohl kein gewöhnlicher aus dem Supermarkt. Dafür ist er zu dickflüssig, wie auch Reste auf dem Boden erkennen lassen.
Aktion gegen Asylverschärfung
In der Nacht haben Unbekannte gleich fünf Parteizentralen in Bielefeld damit beschmiert: von CDU, SPD, Grünen, Linkspartei und FDP. Auch eine politische Botschaft haben sie hinterlassen: "Blut an euren Grenzen" steht dort in großen Lettern. Die Aktion, so deuten es heute viele, richtet sich gegen die europäische Asylpolitik, die gerade am Donnerstag verschärft worden ist.
Zweieinhalb Kilometer entfernt gucken viele Passanten verwundert, als sie an der SPD-Zentrale vorbeigehen. Mitten in der Bielefelder Innenstadt prangt auch hier der "Blut"-Schriftzug. Das Klingelschild, nicht mehr lesbar.
Manche bleiben stehen wie Hannah Kastrup aus Osnabrück (22), die nur zu Besuch ist. "Ich kann die Aktion verstehen. Es sollte ein Grundrecht sein, dass jeder bestimmen kann, wo er leben möchte." Sie finde es falsch, dass sich der Teil der Welt, dem es gut geht, einfach abschotte.
Parteien reagieren gemeinsam auf Farbattacke
Obwohl die betroffenen Parteien vieles trennt, reagieren sie auf die Farbattacken in einem gemeinsamen Statement. "Wir wollen, dass das Sterben auf der Flucht durchs Mittelmeer endlich aufhört. Dafür braucht es eine europäische Lösung." Die Sorgen nehme man ernst und sei zu einem Austausch bereit. Aber: "Sachbeschädigung ist keine zielführende Form demokratischer Auseinandersetzung." Der Staatsschutz ermittelt jetzt wegen Sachbeschädigung.
Während die Marmorfassade bei der CDU am Vormittag schnell wieder gereinigt war, steht Schlifter noch etwas ratlos vor seiner FDP-Parteizentrale. "Nachts, im Schutz der Dunkelheit, anonym, so eine Sachbeschädigung. Das ist unreif und auch verschlagen. Da steht man nicht zu seiner Meinung." Ob die dunkelrote Farbe jemals spurlos vom rauen Putz verschwinden wird? Unklar.
Linke Parteijugend kritisiert FDP
Am Parteibüro der Linken haben die Unbekannten nur ein kleines Symbol aufgesprüht, das für die Anarchie-Bewegung steht. Trotz des gemeinsamen Statements aller Parteien nutzt die linke Parteijugend die Aktionen, um auf Twitter Kritik an den Liberalen zu üben. Der Vorwurf: Die FDP würde sich zu wenig über "Tote an den EU-Außengrenzen" aufregen.
Auf den Kosten für die Reinigung bleiben teilweise gar nicht die Parteien sitzen, sondern die Vermieter und Eigentümer der beschmierten Gebäude. "Das ist auch so ein Irrglaube, dass so eine Aktion uns trifft", sagt Schlifter. "Natürlich haben wir Ärger, uns ist das unangenehm. Wir gucken, wie wir uns arrangieren. Aber in erster Linie ist das Privateigentum, das hier zerstört wird." Vor vier Jahren hatten Unbekannte bereits mit Pflastersteinen die Schaufensterscheiben am FDP-Büro eingeworfen.
Vandalismus als politisches Druckmittel?
Zum Nachdenken brächten ihn solche Aktionen schon, gibt Schlifter zu. "Jeder darf seine eigene Meinung sagen und muss dann mit Gegenargumenten rechnen. Es darf sich aber nicht derjenige durchsetzen, der nachts am verschlagensten mit den meisten Leuten irgendwelche Aktionen durchführt." Auf politische Entscheidungen dürfe möglicher Vandalismus deshalb keine Auswirkungen haben.
Oft sind es nur Sticker, diesmal sind die Verwüstungen an den Parteigebäuden wieder etwas größer. Gegen den dunkelroten Schmodder müssen bei SPD, Grünen und FDP jetzt wohl Profis für die Reinigung anrücken.
Über dieses Thema berichten wir auch in der Lokalzeit OWL im WDR Fernsehen am 09.06.2023 um 19:30 Uhr.