Ein erster Verhandlungstermin am Landgericht Arnsberg im Mai war wegen Krankheit geplatzt. Der nächste Termin war auf den 29. Oktober verlegt worden. Doch noch bevor der Prozess beginnen konnte, war schon wieder Schluss: Wegen Befangenheit eines Schöffen wurde der Auftakt erneut verschoben.
Denn einem Anwalt des Angeklagten war aufgefallen, dass ein Schöffe eine Mailadresse mit der Endung „@infineon.com“ hat. Offenbar arbeite der Schöffe bei dem Unternehmen, bei dessen Tochterunternehmen der Angeklagte Geschäftsführer war. Das könne zu einer Befangenheit führen, argumentierte der Anwalt.
Dass die wirtschaftliche Verflechtung der beiden Firmen so eng sei, sei dem Gericht nicht klar gewesen, sagte die Vorsitzende. Nach einer kurzen Unterbrechung legte der Schöffe von sich aus sein Mandat nieder. Jetzt soll der Prozessauftakt am 19. November sein.
Der frühere Manager von Infineon soll die insgesamt rund 14 Millionen Euro genutzt haben, um eigene prestigeträchtige Immobilienprojekte und seinen gehobenen Lebensstil zu finanzieren. Das wirft ihm die Staatsanwaltschaft vor.
In der Wirtschaftsdelegation von Minister Sigmar Gabriel
Mehr als zehn Jahre führte er mit Infineon Bipolar eines der IT-Vorzeigefirmen in Westfalen - und war ein angesehener Manager. Mit dem damaligen Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel flog er in einer Wirtschaftsdelegation nach Vietnam. Bei Unternehmer-Treffen hielt er Vorträge und ließ sich als Unternehmenslenker fotografieren.
Und ein Museum in Werl, das wirtschaftliche Probleme hatte, wollte er öffentlichkeitswirksam retten - bis er wegen privater Probleme den Rückzug antrat. Welche privaten Probleme das waren, das könnte in dem Prozess am Landgericht Arnsberg an der Großen Wirtschaftsstrafkammer klar werden.
Dem heute in Dortmund lebenden Manager werden millionenschwere Veruntreuungen von Geldern der Infineon Bipolar Technologies vorgeworfen. Das Warsteiner Unternehmen ist ein Gemeinschaftsunternehmen der DAX-Konzerne Infineon und Siemens.
Auf Treuhandkonto 7,5 Millionen Euro überwiesen
Ende 2020 flog auf, dass der damalige Chef offenbar Gelder des Unternehmens für eigene Zwecke genommen hatte. Nach WDR-Informationen hatte der Angeklagte bei einem Anwalt ein Treuhandkonto eingerichtet. Darauf flossen insgesamt 7,5 Millionen Euro von Infineon.
Angeblich sollte das Konto dazu dienen, Eigenkapital von Infineon Bipolar für Unternehmens-Erweiterungen nachzuweisen. Weil das für ein expandierendes Unternehmen nichts Außergewöhnliches ist, ging der Millionen-Abfluss über mehrere Jahre unbeanstandet durch die internen Prüfungen.
Floss Geld in Eventhalle in Dortmund?
Offenbar auch deshalb, weil der Angeklagte Mitteilungen des Anwalts gefälscht haben soll, sagen mit den Vorgängen vertraute Personen. Darin habe gestanden, dass 7,5 Millionen Euro in zwei Immobilienunternehmen abgeflossen waren. An diesen Unternehmen soll der Angeklagte persönlich maßgeblich beteiligt gewesen sein.
Ein Projekt beispielsweise war eine damals prominent vermarktete Event-Location in Dortmund, die Warsteiner Music Hall. In der Corona-Zeit ließ er sie zu einem großen Impfzentrum umbauen.
Notarielles Schuldanerkenntnis abgegeben
Ende 2020 offenbarte sich der Angeklagte dem Unternehmen. Mittlerweile liegt auch ein notarielles Schuldanerkenntnis dem Gericht vor, in dem der Angeklagte einräumt, die Gelder nicht zweckgemäß verwendet zu haben.
Nach WDR-Informationen waren Prüfer zuvor jedoch schon auf Ungereimtheiten gestoßen, so dass der Angeklagte unter massivem Druck gestanden habe, sich zu offenbaren, sagen Insider.
Infineon unterstellt ihrem Ex-Manager "hohe kriminelle Energie"
Infineon setzte interne Juristen und eine externe Kanzlei ein, um das Ausmaß der Veruntreuung zu recherchieren. Deren Fazit: "Der Angeklagte ist mit hoher krimineller Energie vorgegangen. Nur so konnten die Vorgänge so lange unentdeckt bleiben", teilt Infineon dem WDR mit. Deshalb tritt das Unternehmen auch als Nebenkläger in dem Prozess auf.
Neben den 7,5 Millionen, die über das Treuhandkonto abgezweigt worden sein sollen, geht es in einem zweiten Komplex um 6,7 Millionen Euro. Dieses Geld soll der Angeklagte verwendet haben, um zwei Zulieferfirmen von Infineon Bipolar zu kaufen.
Unternehmen im Alleingang gekauft
Zum einen habe er das im Alleingang gegen den Beschluss von Infineon-Gremien getan, heißt es aus Insider-Kreisen. Zum anderen habe er direkt wieder fast zwei Millionen für sich abgezweigt. Die Anwälte des Angeklagten äußerten sich auf mehrfache Anfragen des WDR nicht.
Mitangeklagt ist ein Ehepaar aus Düsseldorf, das den früheren Infineon-Manager bei den Taten unterstützt haben soll. Deren Anwalt hatte beim ersten Prozess im Mai die Vorwürfe zurückgewiesen.
Unsere Quellen:
- Landgericht Arnsberg
- Infineon Pressestelle
- Northdata
- WDR-Reporter