Ich bin heute Testperson in einem „Pflege-Internat“ - quasi immobil mit simuliertem Pflegegrad 4. Im Krankenbett aufrichten, drehen und dann in den Rollstuhl transferieren, so lautet die Aufgabe für die Pflegeschüler. Ich darf mich dabei kaum bewegen und schon gar nicht selbst helfen.
Schüler kommen aus Tunesien oder Marokko
Pflegeschüler Anouar Abderrahmane verschränkt gekonnt seine Arme um mich. Dann ruft er in beruhigendem Ton: "Und auf: Eins, zwei , drei!" Der 25-Jährige schafft es mich im Sitzen zu drehen und in den Rollstuhl vor dem Bett zu heben. Dazu gehört viel Technik und etwas Kraft. Noch schnell die Beine zurecht stellen und schon schiebt er mich aus dem Zimmer.
Nach drei Monaten examinierte Pflegekraft
Das Internat im westfälischen Petershagen - eine ehemalige umgebaute Schule - bildet Pflegekräfte aus, die nicht aus der EU kommen und in Deutschland arbeiten wollen. Die meisten haben schon eine medizinische Ausbildung in ihrem Heimatland abgeschlossen. Außerdem müssen sie Deutsch sprechen können, zumindest in Grundzügen.
Sie werden über Agenturen gezielt für den deutschen Markt angeworben. Die Rekrutierungsidee könnte ein Lösungsbaustein für den Personalmangel in der Pflege sein. Christoph Widdel hat das Pflegeinternat vor anderthalb Jahren mit aufgebaut. Das örtliche Jobcenter finanziert die Maßnahme zu 100 Prozent.
Schulunterricht komplett auf Deutsch
Das passiert nicht nur praktisch, sondern auch theoretisch. Täglich gibt es Unterricht in Schulklassen. Die Wände im Klassenzimmer sind mit bunten Schaubildern behangen. Sie zeigen Verhaltensweisen im Umgang mit Patienten auf. Beispielsweise, wenn jemand fällt oder sich übergibt. Ich bin erstaunt, wie gut einige hier schon Deutsch können, vor allem auch bei medizinischen Fachbegriffen.
"Manchmal schlafe ich nur 3 Stunden pro Tag"
Dann ist Mittagspause auf dem Campus. Die Schüler kochen selbst in einer Gemeinschaftsküche. Meistens gibt es Gerichte aus den Heimatländern, dazu aber auch Hamburger und Pommes. Nebenan ist ein großer Raum mit langen Tischen. Hier wird in kleinen Gruppen zusammen gegessen.
Anouar Abderrahmane hat gerade seine theoretische Prüfung geschafft: "Ja, ich habe viel vorbereitet, manchmal schlafe ich nur 3 Stunden pro Tag.“
Das Heimweh ist groß
Nach dem Essen zeigt Anouar mir sein Zimmer. Es ist etwa 15 Quadratmeter groß und zweckmäßig eingerichtet, mit Bett, Tisch und Schrank. Und er hat einen großen Mitbewohner: einen Teddybär. Anouar Abderrahmane: „Wenn ich zum Beispiel meine Mutter vermisse oder so, ich umarme meinen Bär und ich schlafe ein.“
Einsatz im Pflegeheim nebenan
Am Nachmittag geht es für Anouar und die anderen zu ihrem ersten Praxiseinsatz in ein benachbartes Pflegeheim. Hier sollen sie zeigen, was sie gelernt haben. Die Aufgabe: Kontakt zu den Bewohnern der Demenzstation herstellen. Die älteren Herrschaften sitzen verteilt in einem Auftenthaltsraum.
Einige spielen ein Brettspiel, andere essen Kuchen. Chaima Tami hockt sich vor eine alte Dame. Sie sitzt im Rollstuhl. "Wie heißen Sie?“ fragt die Marokkanerin. Frau Specht spricht aber nicht mehr und sollte eigentlich mehr trinken, hat aber oft keine Lust dazu.
Chaima reicht ihr die Schnabeltasse, streichelt Frau Specht über den Arm und spricht mit warmen Worten zu ihr. Nach kurzer Zeit trinkt die ältere Dame. Für die 28-Jährige war es die erste Begegnung mit deutschen Senioren im Pflegeeinsatz. "Ja, es war super emotional.“ Und dann rollen kleine Tränen über ihr Gesicht.
Sofort wird die Pflegeschülerin von einer Ausbilderin in den Arm genommen. Nach einer kurzen Pause schiebt sie Frau Specht in den Garten. Ich verabschiede mich und beide genießen gemeinsam die letzten Strahlen der Sommersonne.