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Das Grundgesetz geht alle an! - Rainer Erlinger über Artikel 2 - Handlungsfreiheit

WDR 3 17.05.2017 00:55 Min. UT Verfügbar bis 24.05.2180 WDR 3

Rainer Erlinger: Artikel 2 - Handlungsfreiheit

Stand: 29.04.2019, 12:00 Uhr

Artikel 2 garantiert unter anderem das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit - setzt ihr aber auch Grenzen. Wo diese Grenzen für den Publizisten Rainer Erlinger beginnen, erläutert er in seinem Kommentar bei WDR 3.

Manchmal ist es nicht einfach, Nummer zwei zu sein. Besonders, wenn man im Schatten der Nummer eins steht. Und hier sind die Nummer eins und ihr Schatten groß: Die Würde des Menschen in Artikel 1. Das ist ein Riese, so groß, dass man meint, da ist schon alles gesagt. Rechtlich und ethisch. Kann man da überhaupt noch etwas draufsatteln?

Rainer Erlinger: Artikel 2 - Handlungsfreiheit

WDR 3 Kulturfeature - Hörproben 22.05.2019 03:10 Min. Verfügbar bis 20.12.2099 WDR 3


Das Recht, die Dinge zu tun, die man will

Artikel 2 gelingt es. Und das macht ihn so sympathisch. Auch sein erster Satz klingt feierlich, er gewährleistet "die freie Entfaltung der Persönlichkeit". So aber haben ihn die Verfassungsväter – vielleicht sogar wegen der Übermacht von Artikel 1 – vor allem aus sprachlichen Gründen formuliert. Eine vorherige Fassung lautete noch: "Jeder kann tun und lassen was er will." Und so ist auch die derzeitige Formulierung zu verstehen. Artikel 2 gewährleistet etwas Umfassendes: eine "allgemeine Handlungsfreiheit". Man hat das Recht, Dinge zu tun, die man tun will - oder sie zu lassen. Ohne begründen zu müssen, warum man das möchte. Das erledigt Artikel 2.

Das aber macht ihn zu etwas, was man gar nicht hoch genug schätzen kann: zum "Auffanggrundrecht". Wann immer es um etwas geht, das durch kein anderes Grundrecht geschützt wird, steht es immer noch unter dem Schutz von Artikel 2.

"Er legt mit der Rücksicht auf andere den Grundstein zur Moral"

Allerdings gilt das alles nicht ohne Grenzen. Artikel 2 nennt mehrere; an erster Stelle: die Rechte anderer. Damit befindet er sich in der Tradition des schönen, fast schon poetischen Satzes: "Your right to swing your arms ends where the other man's nose begins." Das Recht, deine Arme zu schwingen, endet dort, wo die Nase des Nächsten beginnt. Dieser Satz deutet, genauso wie Artikel 2, in zwei Richtungen: Er legt mit der Rücksicht auf andere den Grundstein zur Moral, zeigt aber zugleich, dass man innerhalb dieser Grenzen frei ist.

Körperliche Unversehrtheit und die Freiheit der Person

Im zweiten Absatz gewährt Artikel 2 noch zwei weitere Grundrechte: das auf Leben und körperliche Unversehrtheit und die Freiheit der Person. Grundrechte, die man in den letzten Jahrzehnten vielleicht schon fast als selbstverständlich angesehen hat, deren Bedeutung einem aber angesichts der jüngeren politischen Entwicklungen in etlichen Staaten wieder schmerzlich – oder dankbar – ins Bewusstsein gerufen wurde.

Tun und lassen, was man will - aber in Grenzen

Dass die allgemeine Handlungsfreiheit im ersten Absatz von Artikel 2 als Grundrecht gleich als nächstes nach der Würde des Menschen in Artikel 1 steht, hat Auswirkungen. Es verändert den Kontext, strahlt aus auf den Rest der Verfassung und auch auf das Verständnis des Zusammenlebens und das Verhältnis des Bürgers zum Staat.

Es fühlt sich gut an, in einem Staat zu leben, der einem so etwas wie ein Auffanggrundrecht bietet, besonders wenn es eines ist, das einem erlaubt, zu tun und zu lassen, was man will – wenn auch in Grenzen. Das ist keine Kleinigkeit, das ist viel mehr.