Im Frühjahr 2002 ist Michael Balke todkrank. Eine chronische Gallenwegsentzündung hat seine Leber zerstört. Der Dortmunder hofft auf eine Transplantation, steht seit einem halben Jahr auf der Warteliste von Eurotransplant. Sein Bruder Dirk möchte helfen und ihm einen Teil seiner gesunden Leber spenden.
Michael zögert. "Ich wollte keinen lieben Angehörigen mit in mein Schicksal ziehen", sagt er. Doch Dirk bleibt hartnäckig. "Ich habe irgendwann nachts meinen Bruder angerufen und gesagt: Ich nehme dein Geschenk an." Das Geschenk wiegt rund 900 Gramm und rettet ein Menschenleben. Doch noch vor wenigen Jahrzehnten waren Lebertransplantationen überhaupt nicht selbstverständlich.
Patient lebt sieben Monate mit neuer Leber
Im Sommer 1969 betritt der erste Mensch den Mond und ein anderer, in Bonn, revolutioniert die Medizin. Es ist Professor Alfred Gütgemann, Chef der Bonner Chirurgischen Universitätsklinik. Auf seiner Station kämpft ein 30-jähriger Patient um sein Leben. Krebszellen haben seine Leber durchsetzt.
"Eine Heilung einer solchen Leberkrebserkrankung auf dem gewöhnlichen Wege gibt es nicht", sagt Gütgemann und wagt als erster Chirurg in Deutschland eine Lebertransplantation. Mehr als fünf Stunden dauert der Eingriff – und glückt.
Der Patient lebt immerhin sieben Monate mit seinem neuen Organ, länger als jeder andere Lebertransplantierte vor ihm. "Es war eine Pionierleistung, ein Riesenwagnis zum ersten Mal in Deutschland eine Transplantation an einem erwachsenen Menschen durchzuführen", betont Andreas Hirner, pensionierter Chef-Chirurg der Klinik auf dem Bonner Venusberg.
Überlebensrate nach Transplantation steigt
Heute sind Lebertransplantationen Routine, wie im Fall von Michael Balke. Die Leber ist das zentrale Stoffwechselorgan des Menschen. Sie ist robust, kann sich regenerieren. Doch Virusinfektionen und Alkoholmissbrauch können sie nachhaltig schädigen.
Bundesweit sind im vergangenen Jahr rund 880 Lebern transplantiert worden. Dank Medikamenten, die die Abstoßung des Spenderorgans unterdrücken, ist die Lebenserwartung nach der Transplantation stets gestiegen. "Die Ein-Jahres-Überlebensrate liegt ungefähr bei 95 Prozent und die Drei- und Fünf- Jahres-Überlebensraten liegen bei 85 Prozent", sagt Professor Steffen Manekeller, Oberarzt an der Chirurgischen Universitätsklinik Bonn.
Alfred Gütgemann muss 1969 seine Pioniertat vor Gericht verantworten: Er habe einem Lebenden ein Organ entnommen. Doch Gütgemann kann nachweisen, dass der Spender bei der Organentnahme bereits 15 Stunden hirntot war. Auch die Klage auf Schmerzensgeld von Mutter und Witwe des Spenders wird abgewiesen.
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Stichtag am 15.12.2017: Vor 1.980 Jahren: Geburtstag des römischen Kaisers Nero