Budapest, 23. Oktober 1956: In Ungarns Hauptstadt versammeln sich an diesem Dienstag tausende Studenten. Sie solidarisieren sich mit den polnischen Kommunisten, die gerade auf ihrem Parteitag politische Reformen versprochen haben. Auf den Transparenten der Studenten steht: "Polen zeigt uns, dass es geht, folgen wir auf Ungarns Weg!" Ihr Ziel ist ein besserer Sozialismus. Sie fordern den baldigen Abzug aller sowjetischen Truppen, die Wahl neuer Parteiführer sowie freie und geheime Wahlen. Zehntausende Menschen schließen sich am Nachmittag der Studentendemonstration an und ziehen vor das Parlament.
Die Zeit für Reformen scheint günstig. Drei Jahre zuvor ist der sowjetische Diktator Stalin gestorben, im Februar 1956 hat sein Nachfolger Nikita Chruschtschow auf dem 20. Parteitag der KPdSU in einer Geheimrede das politische Tauwetter eingeleitet. Die Demonstranten rufen nach Imre Nagy. Der Reformkommunist war nach Stalins Tod Regierungschef geworden, aber Anfang 1955 wegen seiner zu weichen Linie abgesetzt worden. Er verspricht der Menge, ihre Forderungen in der Partei zu diskutieren und ruft zu Ruhe und Ordnung auf.
Eine knappe Woche Hoffnung
Am Dienstagabend wird die Situation unübersichtlich: Die ungarische Regierung bittet Moskau zunächst um Hilfe, lehnt diese kurz darauf jedoch wieder ab. Gegen 22 Uhr ungarischer Zeit - Mitternacht in Moskau - entscheidet Chruschtschow: Sowjetische Truppen sollen einmarschieren. Noch können sie aber nicht starten. Über Budapest liegt Nebel. In dieser Phase erringen die Aufständischen einen Erfolg: Nagy wird in den Morgenstunden des 24. Oktobers wieder zum Ministerpräsidenten gewählt.
Als die Sowjetarmee Budapest erreicht, kommt es zu Gefechten. Sowjetische Panzer werden mit Molotow-Cocktails beworfen. Die ersten Menschen sterben. Eine knappe Woche lang scheint es, als würden die Aufständischen gewinnen: Revolutionsräte bilden sich, unabhängige Zeitungen erscheinen, Gefängnisse werden gestürmt. Die sowjetischen Panzer ziehen sich aus der Stadt zurück. Nagy wird kühn: Er erklärt Ungarns Neutralität und den Austritt aus dem Verteidigungsbündnis Warschauer Pakt. Zudem verspricht er höhere Mindestlöhne, mehr Wohnungen und Förderung der Privatinitiative. Das provoziert die Sowjetunion. Ihre Truppen rücken am 4. November 1956 wieder auf Budapest vor.
Keine internationale Hilfe
Nagy ruft die Weltöffentlichkeit zu Hilfe: "Heute morgen begannen sowjetische Truppen einen Angriff auf unsere Hauptstadt mit der offenkundigen Absicht, die legitime ungarische Regierung zu stürzen." Doch der Westen hat Moskau bereits signalisiert, sich nicht einzumischen. Denn zur gleichen Zeit hat sich die Suezkrise zu einer internationalen Kriegsgefahr entwickelt. Der Aufstand scheitert. Noch am selben Tag flieht Nagy in die jugoslawische Botschaft, Mitte November wird er nach Rumänien verschleppt und eineinhalb später Jahre später in einem Geheimprozess zum Tod verurteilt und gehenkt.
Bei den Kämpfen während des Ungarnaufstandes werden rund 3.200 Menschen getötet. Wenige Monate später beginnt unter der neuen Regierung von János Kádár ein Rachefeldzug gegen sogenannte Konterrevolutionäre und Intellektuelle. Rund 35.000 Aufständische werden angeklagt, 239 hingerichtet. Tausende werden in Internierungslager gesteckt. Über 200.000 Menschen fliehen aus Ungarn nach Westeuropa.
Programmtipps:
Auf WDR 2 können Sie den Stichtag immer gegen 9.40 Uhr hören. Wiederholung: von Montag bis Samstag um 18.40 Uhr. Der Stichtag ist nach der Ausstrahlung als Podcast abrufbar.
"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 23. Oktober 2016 ebenfalls an den Ungarn-Aufstand. Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.
Stichtag am 24.10.2016: Vor 115 Jahren: Erste Befahrung der Niagarafälle mit einem Holzfass