Mandeloperationen sind für Ärzte keine große Sache, gelten als Routine, als eine der häufigsten Operationen im HNO-Bereich. Erste Eingriffe an den Mandeln sind schon für das siebte Jahrhundert vor Christi Geburt belegt. Doch Johannes Bischko, Chirurg an der Wiener Poliklinik, hat 1972 etwas ungewöhnliches mit den Mandeln vor: Er will die Operation ohne klassische Narkose durchführen. Nur Akupunktur-Nadeln sollen den Schmerz ausschalten. Eine solche Operation hat es in der westlichen Welt zuvor noch nicht gegeben. "Es stand natürlich ein Anästhesist für den Notfall bereit", erinnert sich Manfred Richart, Bischkos langjähriger Mitarbeiter und enger Freund. Heute leitet Richart die Geschäftsstelle der Österreichischen Gesellschaft für Akupunktur.
In einem Operationssaal der Wiener Poliklinik kann der Eingriff 1972 nicht stattfinden, zu viele Journalisten belagern die Gänge. Also wird die Operation in den Hörsaal verlegt – dabei sollte sie ursprünglich geheim bleiben. "Man weiß bis heute nicht, wie das durchgesickert ist. Plötzlich waren die Schlagzeilen in den Zeitungen: In Wien wird die erste Mandeloperation ohne Narkose stattfinden", sagt Richart.
Bischko überzeugt Kollegen aus der HNO-Abteilung
Geboren wird Johannes Bischko am 5. August 1922 in Wien. Als junger Mann muss er in den Krieg ziehen, kann erst danach sein Medizinstudium beenden. Bischko wird Chirurg, beschäftigt sich bald mit der Akupunktur und gründet 1954 die Österreichische Gesellschaft für Akupunktur.
Lange Zeit hat Bischko Freiwillige gesucht, ohne Erfolg. Erst 1972, er ist schon 50 Jahre alt, kann er einen Kollegen aus der HNO-Abteilung überzeugen, sich die Mandeln entfernen zu lassen. Trotz der vielen Zuschauer behält er während der Operation im Hörsaal die Nerven. "Bischko war sich seiner Sache sicher und hat niemals Angst vor etwas gehabt. Er hatte ein selbstbewusstes Auftreten", sagt Richart. Der Eingriff dauert 40 Minuten. "Es hat funktioniert: Der Patient war während der gesamten Operation schmerzfrei", erinnert sich Manfred Richart.
Akupunktur wird von der Schulmedizin akzeptiert
In Europa hat sich die Akupunktur als Narkoseersatz nicht in großem Stil durchgesetzt. Doch seit 2007 wird die Behandlung mit den Nadeln bei chronischen Rücken- und Knieschmerzen von vielen Krankenkassen bezahlt. Mehr als 300 Akupunkturpunkte verteilen sich über den menschlichen Körper. Die Nadeln sollen auf den Leitbahnen Blockaden lösen, damit die Lebensenergie Qi fließen kann. Das ist die Sichtweise der traditionellen chinesischen Medizin. Westliche Mediziner sagen: Durch die Einstiche werden möglicherweise Botenstoffe ausgelöst, die schmerzlindernd wirken.
Ein Leben lang kämpft der Chirurg Johannes Bischko dafür, dass die Akupunktur von der Schulmedizin in Österreich akzeptiert wird. Er schafft es: 1986 erkennt der Oberste Sanitätsrat die Akupunktur als wissenschaftliche Heilmethode an. Für Bischko und sein Team ist es ein großer Erfolg. Manfred Richart besucht ihn im November 2004 ein letztes Mal. "Er ließ sich mit dem Rollstuhl noch hinausfahren und winkte mir zu, bis ich im Aufzug war." Wenige Stunden später stirbt Johannes Bischko im Alter von 82 Jahren.
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"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 5. August 2017 ebenfalls an Johannes Bischko. Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.
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