William Shakespeare soll noch gelebt haben, als englische Schauspieler in Essen erstmals eine professionelle Bühnenaufführung darbieten. Fast drei Jahrhunderte später kann sich die Kohle- und Stahlmetropole rühmen, als erste Stadt des Ruhrgebiets ein eigenes Theatergebäude zu besitzen.
"Ein stolzes Haus erhebt sich zu einer Höhe von 16 Metern, noch überragt von einer luftigen Kuppel", schreibt eine Zeitung im Herbst 1892. Zu verdanken hat Essen den Musentempel Friedrich Grillo, einem Unternehmer, der maßgeblich am Aufstieg des Ruhrgebiets zur industriellen Herzkammer des Deutschen Reichs beteiligt ist. Später wird das Haus seinen Namen tragen.
Verwirklichung durch Grillos Witwe
Grillo, der Zechenbaron und Maschinenbau-Industrielle, vertritt die Ansicht: Menschen, die hart arbeiten, brauchen auch Unterhaltung – und Bildung. Im Oktober 1887 verkündet er den Essener Ratsherren, der Stadt aus eigenem Vermögen ein repräsentatives Theater zu errichten. Wenige Monate später allerdings stirbt Friedrich Grillo, ohne eine Schenkungsurkunde zu hinterlassen.
Seine Witwe Wilhelmine entscheidet, den Plan ihres Mannes "zur sittlichen Erhebung des Arbeiterstandes" in die Tat umzusetzen. Sie stiftet mitten in der Stadt ein Grundstück aus Familienbesitz und rund 500.000 Mark für den Bau des Theaters. Nun lässt sich auch Essens Stahlmagnat Friedrich Alfred Krupp nicht lumpen und verspricht, jährlich 10.000 Mark zu den Betriebskosten beizusteuern.
30 Premieren pro Spielzeit
Nach einer Ausschreibung unter 34 Architekten wählt Wilhelmine Grillo den neobarocken Entwurf des Berliner Theaterspezialisten Heinrich Seeling. Zweieinhalb Jahre wird gebaut, dann ist das Essener Stadttheater mit Plätzen für 800 Zuschauer vollendet. Zur Eröffnung am 16. September 1892 steht Lessings Lustspiel "Minna von Barnhelm" auf dem Spielplan, gefolgt von Webers großer bürgerlicher Oper "Der Freischütz".
"Damals wurden im Grillo-Theater 30 Premieren pro Spielzeit aufgeführt. Das ist für uns heute unvorstellbar", würdigt Essens derzeitiger Intendant Christian Tombeil die Leistungen seiner Vorgänger. Doch schon zur Jahrhundertwende erweist sich die Bühnentechnik für Schauspiel, Ballett und Oper als zu klein. 1908 muss das Drei-Sparten-Haus um eine größere Hinterbühne und ein neues Kulissenhaus erweitert werden. Im Zweiten Weltkrieg fallen die wuchtige Fassade und fast der gesamte Publikumsbereich Bomben zum Opfer.
Heiße Eisen auf der Bühne
Der Wiederaufbau nach Kriegsende fällt moderner, schlichter als Seelings Originalentwurf aus. Ein Vorbau mit drei hohen Fensternischen und rote Farbe bestimmen nun die Fassade des Grillo-Theaters. 1953 erlebt Alban Bergs Oper "Lulu" dort ihre deutsche Erstaufführung. Größen wie Erwin Piscator oder Jean-Louis Barrault aus Paris prägen mit Inszenierungen den Ruf des Essener Theaters. Von 1985 bis 1992 sorgt der "Klassik-Killer" Hansgünther Heyme als Schauspieldirektor für spektakuläre Bühnenereignisse.
Seit der Eröffnung des von Alvar Aalto entworfenen Essener Opernhauses 1988 kann sich das Grillo-Theater ganz dem Schauspiel widmen. Wie Heyme bringt auch der seit 2010 amtierende Intendant Tobeil immer wieder heiße Eisen auf die Bühne, etwa die Flüchtlingskrise oder den Rechtsruck in der Gesellschaft. Zum 125. Jubiläum ihres Grillo-Theaters durften die Essener selbst entscheiden, was sie sehen möchten. Sie wählten eine Farce über die Käuflichkeit einer ganzen Stadt: Friedrich Dürrenmatts "Der Besuch der alten Dame".
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