"Essen – die Einkaufsstadt" - mit diesem Slogan lockte die größte Stadt im Ruhrgebiet jahrzehntelang Besucher aus nah und fern. Wem nach dem Shoppen der Sinn nach einem Opernbesuch stand, der fuhr allerdings lieber weiter nach Düsseldorf, Köln oder Bonn. Ein Musiktheater von Rang hatte Essen nicht zu bieten, nur das alte und zu kleine Grillo-Theater, das mit überholter Technik und mittelprächtiger Akustik gleichermaßen Schauspiel, Oper und Tanz gerecht werden musste.
Auf einen Schlag tritt Essen dann vor 25 Jahren aus dem Kulturschatten der rheinischen Nachbarn. Im Stadtgarten hinter dem Hauptbahnhof wird das Aalto-Theater eröffnet und als einer der schönsten Opernbauten weltweit gefeiert. Architektonisch wie akustisch zählt es seither zum Feinsten, das die deutsche Theaterlandschaft zu bieten hat. Entworfen vom Finnen Alvar Aalto, hebt sich der asymmetrisch geschwungene Betonbau wie eine weiße Welle aus dem Grün des Stadtgartens. Alvar Aalto selbst kann die Eröffnung aber nicht mehr miterleben.
Erst ein Rathaus, dann die Oper
Der 78-jährige, weltberühmte Architekt stirbt im Mai 1976, sieben Jahre vor der Grundsteinlegung, und 17 Jahre, nachdem sein Entwurf in Essen auserkoren wurde. Viele Gebäude hat Aalto schon in Deutschland errichtet, so etwa das Rathaus von Marl, das Leverkusener Kulturzentrum oder in Castrop-Rauxel das Stadt-Zentrum. Sein Name ist sein Programm. Aalto heißt im Finnischen "Welle" und die wogt wie eine Signatur durch sein Werk. Als einer der letzten Großen seines Fachs begreift sich Aalto noch als Gesamtgestalter. Er entwirft Villen und Fabriken, Kirchen, Möbel, Stühle und Türklinken – und nun, erstmals in seinem Leben, für Essen auch eine Oper.
Im Jahr 1959 gewinnt Aalto den von der Essener Gesellschaft zur Förderung des Theaterneubaus ausgeschriebenen Wettbewerb. Doch trotz einhelliger Begeisterung für seine Pläne fordern die Auftraggeber mehrfach umfangreiche Änderungen. In zwei Etappen, 1960 und 1969, muss Aalto die Entwürfe überarbeiten. 1974 legt er dem Stadtrat einen ausführungsreifen Plan vor, der Bau könnte nun endlich beginnen. Doch inzwischen leidet Essen schwer unter der Strukturkrise, die Kassen sind leer. Zudem leistet sich die Stadt gerade ein neues Rathaus, immerhin das höchste in ganz Deutschland.
Baubeginn nach 24 Jahren
Mit dem Tod von Alvar Aalto 1976 droht dem so hoch gelobten Opernprojekt endgültig das Aus. Doch mit Hilfe eines kapitalkräftigen Sponsorenkreises können die geschätzten Kosten von 130 Millionen Mark schließlich aufgebracht werden. 1981, nach Fertigstellung des imposanten Rathauses, beauftragt man den Architekten Harald Deilmann, die Pläne für das Aalto-Theater wieder aus der Schublade zu holen. Unter Wahrung von Alvar Aaltos Vision passt Deilmann sie den gesetzlichen Anforderungen an. Im November 1983, nach einem 24-jährigen Hindernislauf, kann endlich der erste Spatenstich zum "Aalto", wie die Oper längst in Essen heißt, ausgeführt werden.
Zur festlichen Eröffnung des Prestigebaus am 25. September 1988 erklingen in Anwesenheit von Bundespräsident Richard von Weizsäcker und Finnlands Staatsoberhaupt Mauno Koivisto "Die Meistersinger von Nürnberg". Oberbürgermeister Peter Reuschenbach (SPD) erklärt in seiner Ansprache, die Aalto-Oper sei nicht nur der heutigen Generation zugedacht: "Denn wir sind altmodisch genug, uns Häuser wie dieses nicht nur zum raschen Verbrauch zu erbauen, sondern für eine identitätsstiftende Dauer vorzustellen."
Stand: 25.09.2013
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