Lange Zeit ist das Brückstraßenviertel nicht gerade Dortmunds Visitenkarte. Dönerbuden, Rockerkneipen und Rotlichtmilieu prägen die Gegend nahe dem Hauptbahnhof. "Als Kind durfte ich hier gar nicht rein und jetzt ist das ein Multikulti geworden", sagt eine Verkäuferin. "Heute trifft man hier alle, vom Flaschensammler bis zum High-Society-Menschen."
Die Verwandlung verdankt das Problemviertel einem verglasten Klangtempel. Um das Schmuddel-Image zu vertreiben, entwickeln die Stadtväter in den 1990er-Jahren Pläne für ein Konzerthaus im Norden der Dortmunder City. Internationale Strahlkraft soll es besitzen und den Dortmunder Philharmonikern eine Spielstätte bieten. Hauptinitiator des Kultur-Großprojekts ist der Unternehmer und Sänger Ulrich Andreas Vogt.
"Klingt gut"
"Wir sind durch die Welt gefahren und haben versucht, überall die besten Dinge für Dortmund zu adaptieren", schildert Vogt die Planungsphase. Als Gründungsintendant der "Philharmonie für Westfalen" kann er im Jahr 2000 den Grundstein legen. Gespannt verfolgt die regionale und internationale Musikszene, was da in Dortmund heranwächst.
Nach zwei Jahren Bauzeit ist das Konzerthaus Dortmund mit seiner schillernden Glasfassade fertig, Kosten: 48 Millionen Euro. Den schlichten, in cremeweißen Farben gehaltenen Saal für 1.550 Zuhörer haben die Akustiker dem Saal des Wiener Musikvereins nachempfunden. "Das neue Konzerthaus klingt gut", urteilt der Kritiker der "Frankfurter Allgemeine Zeitung" nach der Hörprobe.
Ära Vogt endet im Streit
Zu den Klängen von "Wer soll das bezahlen" marschiert am Freitag, dem 13. September 2002, eine Blaskapelle vor dem Konzerthaus auf. Einige Dutzend Menschen protestieren gegen das neue Prestigeobjekt; "Besser Bildung für alle als Wiwaldi (!) für wenige" steht auf einem Plakat. Drinnen wird währenddessen in Anwesenheit von Bundespräsident Johannes Rau das Konzerthaus feierlich eröffnet. Zur Premiere spielt das Philharmonische Orchester Gustav Mahlers dritte Sinfonie.
Von Beginn an gelingt es Ulrich Andreas Vogt, Spitzenorchester, Solisten und Pultstars aus Wien, London, Berlin und New York anzulocken. Hochkarätige "Composer in Residence“ wie Mathias Pintscher und Karlheinz Stockhausen kommen nach Dortmund. Für Nicht-Klassik-Fans stehen Jazz, Weltmusik und Unterhaltungs-Shows auf dem Programm. Das alles kostet viel Geld. Bald liegt Gründungsintendant Vogt mit der Stadt so im Streit über die Finanzierung, dass er 2005 entnervt sein Amt aufgibt.
Jünger, frischer, frecher
Unter Nachfolger Benedikt Stampa wird das Konzerthaus jünger, frischer und frecher. Der Westfale und BVB-Fan führt die E-Musik aus ihrem Elfenbeinturm heraus und entwickelt neue Formate wie die "Jungen Wilden“ und Konzertserien mit Künstlern, von denen, wie die Sopranistin Annette Dasch, nicht wenige in Dortmund eine Weltkarriere starten. Mit ausgefallenen Reihen wie "Klassik zum Anfassen", den Minifestivals "Zeitinseln" oder Multimedia-Projekten gewinnt Stampa ein ganz neues, junges Publikum.
Der Erfolg gibt dem umtriebigen Kulturmanager recht: Die Abonnentenzahlen steigen; die Auslastung des Konzerthauses liegt inzwischen bei knapp 80 Prozent. Nach 14 Jahren wird Stampa 2019 Dortmund verlassen, um die Leitung des Festspielhauses Baden-Baden zu übernehmen. Seinem Nachfolger übergibt er keinen elitären Klassiktempel, sondern ein offenes und lebendiges Konzerthaus.
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