Das Königliche Joachimsthalsche Gymnasium (JG) ist eine preußische Kaderschmiede. Auf der Internatsschule direkt gegenüber vom Schloss pauken die zukünftigen Stützen des Staats an ellenlangen Unterrichtstagen Latein, Griechisch, Polnisch, Logik und Naturrecht. Hier wird das Abitur erfunden, hier macht des Kaisers General Alfred von Schlieffen ebenso seinen Abschluss wie Schulatlasverleger Carl Diercke oder der Pädagoge Friedrich von Bodelschwingh.
So vollgestopft sich die Schulstunden aber auch gestalten: Ausgelastet ist Preußens kommende Elite offenbar trotzdem nicht. Nach Schulschluss tobt sie sich auf Berlins Straßen aus. Das kann Gymnasiumsnachbar König Friedrich Wilhelm II. nicht auf sich beruhen lassen. Am 14. Dezember 1790 stiftet er auf dem Nachbargrundstück des Gymnasiums einen Platz: "Damit er zur Leibesbewegung der studierenden Jugend angewendet werde", wie es heißt.
Spielend dienen
Der eingemauerte und mit Pflanzen bestückte Platz dient nur einem Zweck: Er soll die Schüler von der Straße holen. Über dem Eingangstor können die Eintretenden "Dum ludere videmur, est pro patria" lesen: "Während wir zu spielen scheinen, dienen wir dem Vaterland", ein Spruch Theoderichs des Großen. Spielgeräte gibt es auf dem Platz nicht, auch von Kinderspielplatz zu reden wäre übertrieben: Die Kindheit ist als eigener, ernstzunehmender Lebensabschnitt des Spiels noch nicht entdeckt.
Turnvater Jahn holt die Leibesbewegung aus der Ummauerung, indem er 1811 in der Berliner Hasenheide den ersten Turnplatz Deutschlands eröffnet. Später ist es der Pädagoge Friedrich Fröbel, der kleinen Kindern ein freies Spiel ohne Erwachsenenkontrolle zugesteht. Mit der pädagogischen Aufbruchstimmung Ende der 1960er Jahre kommen die ersten Abenteuerspielplätze und Jugendfarmen auf. Sandkasten, Wippe und Schaukel werden zur Standardausrüstung von Grundschulen und Kindergärten. Heute gehören laut Landesbauordnung zu jeder neuen Wohnsiedluung angemessen viele Spielplätze.
Dem Palast der Republik gewichen
Das Königliche Joachimsthalsche Gymnasium zieht Anfang des 20. Jahrhunderts in einen prachtvollen Neubau nach Templin. Der von Friedrich Wilhelm II. gestiftete Spielplatz hat danach keine Lobby mehr. Er verschwindet endgültig, als die DDR Anfang der 1970er Jahre Schloss und Schulhaus abreißen lässt, um an gleicher Stelle den Palast der Republik zu errichten. 40 Jahre später ersteht das Berliner Stadtschloss wieder aus den Ruinen. Deutschlands erster Spielplatz aber bleibt Schutt und Asche.
Stand: 14.12.2015
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