Am 19. Juni 1811 trauen die Besucher der Hasenheide in Berlin ihren Augen nicht. Mitten im beliebten Volkspark tummeln sich plötzlich Männer in grauen Drillichanzügen und dehnen und strecken sich. Es ist der Tag, an dem Friedrich Ludwig Jahn in der Hasenheide seinen ersten Turnplatz eröffnet. Lange Zeit noch kommen die Berliner, um sich über den Anblick der verrückten Hüpfer im Turndress zu amüsieren.
Vom Raufbold zum Nationalisten
Jahn wird 1778 als Sohn eines Pfarrers in einem Dorf im Südwesten der brandenburgischen Landschaft Prignitz geboren. Die Schule muss er wegen seiner ständigen Raufereien verlassen, als Student erklärt ihn die Universität von Greifswald später zur unerwünschten Person. Danach muss sich Jahn ohne Abschluss als Haus- und Hilfslehrer verdingen.
Als die preußische Arme 1806 die Doppelschlacht von Jena und Auerstedt gegen die Truppen Napoleons verliert, findet Jahn seine Bestimmung. Er schwärmt für die nationale Einheit Deutschlands unter Führung Preußens und agitiert gegen den Erzfeind. Um nationale Reife zu erlangen und die Franzosen aus dem Land zu jagen, bedarf es nach seiner Meinung nicht nur sittlicher Strenge, sondern auch eines durchtrainierten Körpers: Werfen, Springen, Klettern unter freiem Himmel werden für Jahn zur Basis für den Befreiungskrieg.
"Frisch, fromm, fröhlich, frei"
Unter dem Motto "Frisch, fromm, fröhlich, frei" greifen in der Folge immer mehr Männer zur Hantel oder ans Klettergerüst: Zwischen 1814 und 1817 turnen bereits 12.000 Anhänger Jahns auf den Turnplätzen von 150 Ortsvereinen. Ab 1816 können sie sich durch Jahns Schrift "Die Deutsche Turnkunst" auch geistig im Sinne körperlicher Ertüchtigung bilden. Zu Jahns Aktionen gehört es auch, das sportliche Vokabular von fremdländischen Ausdrücken zu säubern. Begriffe wie "Turnen", "Turnstunde", "Turnhalle" oder "Turngerät" führt er in die deutsche Sprache ein. Als Turngerät erfindet der Mann, der selbst zum "Turnvater" avanciert, den Barren.
1819 erklärt die Obrigkeit die Anhänger Jahns wegen dessen deutschnationaler Gesinnung zu Hochverrätern. Jahn selbst kommt ins Gefängnis. 1825 wird er aus der Haft entlassen, aber unter polizeiliche Aufsicht gestellt. Da es ihm verboten ist, sich öffentlich in der Stadt zu zeigen, zieht er nach Freyburg an der Unstrut. Erst 1842 wird Turnen in Preußen wieder zugelassen und sogar zum Schulfach. Da fühlt sich Jahn bereits als Überlebender einer vergangenen Zeit. Er stirbt 1852 mit 74 Jahren in Freyburg an einer Lungenentzündung.
Stand: 19.06.2011
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