"Es ist die Geschichte eines Menschen, welcher komischerweise darunter leidet, dass er zur Hälfte ein Mensch, zur anderen ein Wolf ist", schreibt Hermann Hesse im Sommer 1925 während der ersten Planungen zu seinem Roman "Der Steppenwolf".
Die Hauptfigur Harry Haller ist ein zu viel trinkender, sich vernachlässigender, überalterten Junggeselle, der dagegen ankämpft, ein nur noch zynisches Verhältnis zur Welt zu haben und eine tiefe Zerrissenheit spürt. So wie Hesse selbst kurz vor seinem 50. Geburtstag. "Mich selbst zu zerstören, in vielerlei Formen, ist das einzige, was ich seit Jahren getan habe", schreibt er und nennt sich einen Eremiten, Neurotiker, Schlaflosen und Psychopaten.
Tiefe Krise des Autors
Da lebt seine erste, nervenkranke Ehefrau in einer psychiatrischen Anstalt, seine drei Söhne im Heim und seine zweite Ehe ist gerade gescheitert. "Hesse schreibt buchstäblich um sein Leben", erklärt Hesse-Biograf Gunnar Decker. Hesse denkt beim Schreiben ständig an Selbstmord, will seinen 51. Geburtstag nicht mehr erleben.
So wird "Der Steppenwolf" das Dokument einer männlichen Krise in der Lebensmitte: "Die eine Hälfte will fressen, saufen, morden und dergleichen einfache Dinge, die andere will denken, Mozart hören und so weiter, dadurch entstehen Störungen", beschreibt Hesse seine Zerrissenheit. Die Schuld an seinem Gemütszustand gibt er der "zerstörten und von Aktiengesellschaften ausgesogenen Welt".
Aussteiger-Bibel für Hippies
Als der "Der Steppenwolf" am 1. Juni 1927 erscheint, ist seine gesellschaftliche Abrechnung ein Skandal. "Das war ja vorhersehbar, dass er den Leserkreis, den er bislang hatte, mit diesem Buch vor den Kopf stieß", sagt Decker. Thomas Mann lobt dagegen das Werk, "das an experimenteller Gewagtheit dem "Ulysses" von James Joyce nicht nachstehe".
Die eigentliche Erfolgsgeschichte vom "Steppenwolf" beginnt erst in den 1960er Jahren. Der Kampf des intellektuellen, freigeistigen Außenseiters gegen das biedere, scheinheilige Bürgertum avanciert zum Kultbuch der protestierenden Jugend und zum Namensgeber einer US-Band, die mit dem Song "Born to be wild" den Puls der Zeit trifft." Auch, weil viele Hallers Rettung am Ende im magischen Theater als einen "bewusstseinserweiternden" LSD-Trip interpretieren.
Missverstandener "Steppenwolf"
Den großen Erfolg erlebt der Autor nicht mehr, Hermann Hesse stirbt 1962 im Alter von 85 Jahren in der Schweiz. Zu Lebzeiten klagt Hesse, dass "Der Steppenwolf" gerade von den Anhängern oft missverstanden wird. "Zum Teil kommt die Häufigkeit dieser Fälle davon her, dass dieses Buch, von einem 50-Jährigen geschrieben und von den Problemen eben diesen handelnd, sehr häufig ganz jungen Lesern in die Hände fiel", schreibt er 14 Jahre nach der ersten Auflage 1941.
Auch Literaturkritiker sind gespalten. Marcel Reich-Ranicki ist als Jugendlicher vom "Steppenwolf" begeistert, später ernüchternd. "Und dann habe ich ihn zum dritten Mal gelesen: und jetzt war ich nicht entzückt, nicht enttäuscht, sondern entsetzt", lautet sein vernichtendes Urteil.
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"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 1. Juni 2017 ebenfalls an den Roman "Der Steppenwolf" von Hermann Hesse. Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.
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