Walter Richter als Kommissar Trimmel in "Taxi nach Leipzig", 1970

Stichtag

29. November 1970 - Start der ARD-Krimi-Reihe "Tatort"

Eine Krimiserie mit zehn verschiedenen Kommissaren? Gunther Witte weiß nur zu gut: Das gibt es nirgendwo in der gesamten Fernsehwelt. Entsprechend vorsichtig schätzt der erfahrene WDR-Dramaturg 1970 die Erfolgschancen seiner neuen ARD-Serie "Tatort" ein: "Wenn wir das zwei Jahre durchhalten, dann sind wir gut." 45 Jahre und rund 960 Folgen später ist Wittes Erfindung die langlebigste Krimireihe im deutschen Sprachraum und quotenträchtig wie in ihren besten Zeiten.

Mehr als hundert Kommissare sind in jedem Winkel Deutschlands dem Verbrechen auf der Spur gewesen, in Millionenstädten, in der Provinz oder auf dem Dorf. Lösten die alten Hasen ihre Fälle anfangs noch im Alleingang, arbeiten die "Tatort"-Kommissare der nächsten Generation meist im Team. Mal harmonisch musizierend wie die Hamburger Stoever und Brockmüller, mal ruppig und konfliktbeladen wie die aktuelle Ermittlertruppe in Dortmund.

Trimmel im "Taxi nach Leipzig"

Als die ARD 1968 ihre altgediente Krimi-Serie "Stahlnetz" einstellt, übernimmt im ZDF Erik Ode als "Der Kommissar" die Fernseh-Mörderjagd. Die Fälle des Münchener Ermittlers mit Pepitahut kommen beim Publikum so gut an, dass WDR-Dramaturg Witte beauftragt wird, möglichst bald eine Konkurrenz-Serie zu konzipieren. "Da hab ich mir gesagt", erinnert sich Gunther Witte, "diese ARD hat so viele Schwächen durch ihren Föderalismus. Lass uns das doch umdrehen und eine Stärke draus machen." Daraus entsteht das wohl erfolgsträchtigste Grundschema für den "Tatort": der regionale Bezug.

Witte muss viel Überzeugungsarbeit leisten, bis die anderen ARD-Anstalten seiner Idee einer föderalen Verbrecherjagd zustimmen. Zwecks zügiger Eröffnung der "Tatort"-Reihe entscheidet man sich für einen bereits sendefertigen NDR-Krimi aus der Feder des renommierten Autors Friedhelm Werremeier. Am 29. November 1970 sehen 61 Prozent der deutschen Zuschauer zum ersten Mal zu Klaus Doldingers Titelmusik den legendären Vorspann mit dem Fadenkreuz. In "Taxi nach Leipzig" reist der bärbeißige Hamburger Kommissar Trimmel, gespielt von Walter Richter, in die DDR, um einen mysteriösen Kindstod aufzuklären.

Schimanski mischt den "Tatort" auf

Nach dem Poltergeist Trimmel schickt der WDR den Zollfahnder Kressin zum "Tatort"-Einsatz – und sorgt für den ersten ordentlichen Skandal der Reihe. Der Playboy mit Dienstmarke und hohem Verschleiß an Geliebten fällt in Ungnade; nach sieben Folgen ist für ihn Feierabend. Vertrauenwürdige Vaterfiguren wie die Herren Haferkamp (Essen), Lutz (Stuttgart), Finke (Kiel) oder Veigl (München) prägen danach den Kommissar-Typus der 70er-Jahre. Aus Österreich steuert Oberinspektor Marek Wiener Schmäh bei. 1977 erregt die junge barbusige Nastassja Kinski in Wolfgang Petersens "Reifeprüfung" die Gemüter der Nation. Im Jahr darauf wird Nicole Heesters zur ersten "Tatort"-Ermittlerin befördert – allerdings nur drei Folgen lang. Zwölf Jahre müssen noch vergehen, bis die Zuschauer mit Ulrike Folkerts alias Lena Odenthal eine Frau Kommissarin akzeptieren.

In den 80ern mischen die Duisburger Schimanski und Thanner als erstes Buddy-Duo die biedere "Tatort"-Szene gründlich auf. Mit rüden Dialogen und kinoreifer Action bringen der Pottproll und der Pedant frischen Wind in die ausgereizten Krimistories. Bei Schimanskis Kündigung 1991 gehen zwei Ermittler-Paare auf Sendung, die aktuell die längste Dienstzeit aufweisen können: die Ludwigshafenerin Odenthal mit ihrem Adlatus Kopper und das Gespann Batic/Leitmayr in München. Der größte Abräumer am Sonntagabend aber bleiben die Münsteraner, das einzige "Tatort"-Team mit Humorzulage. 13,63 Millionen Zuschauer machen im November 2015 die Folge "Schwanensee" mit Kommissar Thiel und Chefpathologe Boerne zum erfolgreichsten "Tatort" seit 1992.

Stand: 29.11.2015

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