Ende der 60er Jahre werden Tabuthemen im Kino schonungslos aufgearbeitet. "Helga - Vom Werden des menschlichen Lebens" (1967) etwa zeigt im Auftrag von Gesundheitsministerin Käte Strobel eine real gefilmte Geburt samt Leinwand füllender, blutiger Vagina. Angeblich müssen Sanitäter männliche Kinogäste danach wieder auf die Beine stellen.
Aber was passiert vor der Geburt? Was geht ab in deutschen Ehebetten? Das ist das Thema des Aufklärungsfilms "Das Wunder der Liebe - Sexualität in der Ehe", der am 1. Februar 1968 in Hamburg Premiere hat. Hier kippt kein Mann vom Sessel, findet aber teils drastische Worte. "Der verdirbt die ganze Jugend", sagt etwa ein Zuschauer. "Das ist ein Schweinehund ist das."
Dürfen Frauen oben liegen?
Der "Schweinehund" ist der Journalist Oswalt Kolle. Unter maßgeblicher Mitarbeit des Sexualforschers Hans Giese, der einen einleitenden Auftritt hat, wagt Kolle mit den Spielszenen seines Filmdebüts eine Bestandsaufnahme deutscher Sexualität, die allzu oft durch Missverständnisse sowie durch "körperlich und seelisch bedingte Unterschiede" zwischen Mann und Frau verhindert wird. "Das Wunder der Liebe" versteht sich als Aufklärungsfilm, der Hemmungen und Schuldgefühle abbauen, "Menschen in unserer technisierten und kalten Gesellschaft klarmachen" will, "dass Sexualität nichts Böses ist, keine Gefahr, sondern eine Freude".
Endlos verhandeln habe er müssen, bevor er seinen Film in die Kinos habe bringen können, erinnert sich Kolle später: "Ein Staatsanwalt wollte mich sogar verhaften lassen, und ein Zensor hat erschreckt gerufen: 'Wollen Sie denn die ganze Welt umdrehen? Jetzt soll sogar schon die Frau oben liegen!"
Der Entladungsdrang des Mannes
Sie soll, sagt Kolle. Beim Sex darf auch "ruhig mal gelacht" werden. Und: "Das Verlangen des Mannes wird im Allgemeinen sehr schnell durch äußere Reize geweckt und drängt ihn naturhaft nach schneller Entladung. Das Verlangen der meisten Frauen hingegen wird erst langsam geweckt durch Worte und Liebkosungen des Mannes." In den ersten acht Monaten sehen über zehn Millionen Menschen das schwarz-weiß gedrehte Plädoyer für eine bunte, freie Liebe, in dem kein einziger Geschlechtsakt vorkommt. Denn "die Jugend weiß, wie ein Glied in die Scheide gesteckt wird".
Nach "Das Wunder der Liebe" dreht Kolle noch sieben weitere Filme. In der TV-Serie "Sexreport 2008 – So lieben die Deutschen" tritt er noch einmal auf. Da ist sein Ruf als "Aufklärer der Nation" zwar noch lebendig, aber auch schon ein wenig verblasst. Kolle stirbt 2010 in Amsterdam.
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