Paragraphen unter der Lupe

Stichtag

16. Februar 1971 - BRD schafft Anrede "Fräulein" im Amtsdeutsch ab

Unverheiratete französische Frauen werden "Mademoiselle" genannt, junge Engländerinnen ohne Ehemann heißen "Miss". "Buona sera, Signorina", rufen die Italiener, "Señiorita" die Spanier und "Fröken" die Schweden. Nur in Deutschland sind die "Fräuleins" ausgestorben. Im offiziellen Amtsdeutsch wurde die Anrede "Fräulein" am 16. Februar 1971 weitgehend abgeschafft.

Frauen schreiben Beschwerdebriefe ans Innenministerium

Fräulein bedeutet Anfang des 20. Jahrhunderts: weiblich, berufstätig und schlecht bezahlt. Fräuleins sind Sekretärinnen, sie bedienen an der Kuchentheke, arbeiten im Amt. Weit gebracht haben sie es, wenn sie sich "Fräulein Lehrerin" nennen dürfen. Sobald ein Fräulein heiratet, heißt sie Frau und hört auf zu arbeiten – weil die Arbeit nicht mehr nötig ist oder der Ehemann sie nicht erlaubt. Doch Anfang der fünfziger Jahre, nach dem Zweiten Weltkrieg, bleiben ungezählte Fräuleins zurück, die weder Braut noch Mutter waren. Ab 1950 häufen sich im Deutschen Bundesministerium des Innern, Unterabteilung I A – dem Frauenreferat - Beschwerden von Fräuleins, die keine mehr sein wollen. Sie schreiben: "Ich bin keine alte Jungfer, sondern eine Frau, die mitten im Leben steht, bin Einkaufssekretärin für Damenoberbekleidung in einem Konzern." Oder: "Es ist doch so, dass das Fräulein in Handel und Verkehr die kleine Frau ist, die danach behandelt wird." Und: "Man wird belächelt und als minderwertig behandelt." Die Briefe sind im Bundesarchiv in Koblenz archiviert. Die Frauen stört nicht nur die Endung "-lein", also die Verkleinerungsform, es geht ihnen auch um sprachliche Symmetrie. Tatsächlich gibt es kein männliches Pendant zum Fräulein. "Wie lächerlich würde sich zum Beispiel ein Junggeselle vorkommen, wenn man ihn mit 'Herrlein' titulierte", schreibt eine Dame. Die Forderung eines der vielen Fräuleins: "Meiner Ansicht nach würde dieses Problem gelöst sein, wenn die Bezeichnung 'Fräulein' für die unverheiratete Frau aus der deutschen Sprache ausgemerzt würde."

Das "Fräulein" wird aus der Behördensprache gestrichen

Die Maschinerie der Behörde läuft an und am 16. Februar 1971 stellt das Bundesinnenministerium folgenden Entwurf eines Erlasses vor: "Gegenüber einer unverheirateten volljährigen Frau soll die Anrede 'Frau' verwendet werden." Doch es gibt berechtigte Kritik an der Formulierung. Zum Beispiel aus dem Bundespostministerium, wo angemerkt wird, "dass im amtlichen Schriftverkehr nicht immer deutlich wird, ob die angeschriebene Person volljährig ist oder nicht." Konsequenter wäre es, das "Fräulein" ganz aus der Behördensprache zu streichen. Und so geschieht es: Mitte der siebziger Jahre wird der letzte behördliche Vordruck, auf dem ein "Fräulein" vorkommt, vernichtet.

Stand: 16.02.2011

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