Tief im Wasser liegend fährt das britische Handelsschiff "Kent" heimwärts durch den Golf von Bengalen, randvoll beladen mit Waren aus den indischen Kolonien. Am 7. Oktober 1800 hält ein bewaffneter Segler auf die kanonenbewehrte "Kent" zu. Als beide Schiffe auf gleicher Höhe liegen, ist das Schicksal des Ostindienfahrers besiegelt. "Hier die französische Korsarenkorvette 'La Confiance', Kapitän Robert Surcouf", schallt es zur "Kent" herüber, und erst jetzt entfaltet sich rauschend die Trikolore über dem Seeräuberschiff. Nach 20-minütigem Gefecht entern Surcoufs Piraten die "Kent" und machen reiche Beute.
Es ist die Zeit der von Napoleon verordneten Kontinentalsperre im Krieg gegen England und Robert Surcouf ist Napoleons erfolgreichster Guerillakämpfer auf See. Ausgestattet mit einem staatlichen Kaperbrief, rüstet Surcouf auf eigene Rechnung Handelsschiffe mit Kanonen aus und überfällt als legaler Seeräuber in Diensten Frankreichs die Handelsschiffe der Briten. Seit dem Beginn des Seehandels im Mittelalter gilt diese Form lizensierter Piraterie, die Kaperei, international als legitimes Mittel der Kriegsführung.
Einigung der See-Nationen im Krimkrieg
Entlohnt werden die Kaperer mit der Beute, Prise genannt, von der ein kleiner Teil als "Lizenzgebühr" abgeführt werden muss. Ein höchst einträgliches Gewerbe also für Unternehmer wie Surcouf, bei dem die freiberuflichen Staatspiraten immer wieder auch die Schiffe neutraler Nationen überfallen und ausrauben. So entwickeln sich Kaperfahrer bei steigender Bedeutung des Seehandels zunehmend zu einer aus dem Ruder laufenden Bedrohung für die Wirtschaft Europas.
Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts scheitern zahlreiche Bemühungen, der Kaperei Einhalt zu gebieten. Eine Einigung wird erst im Krimkrieg 1856 möglich, der Großbritannien und Frankreich erstmals zu Verbündeten macht. Am 16. April 1856 unterzeichnen die beiden führenden Nationen zur See in Paris eine Deklaration über das Seerecht und beschließen unter anderem: Die Kaperei ist und bleibt abgeschafft. Nur sechs Jahre später sorgt allerdings das englische Kaperschiff "Alabama" erneut für internationale Empörung.
Erstes Schadenersatzurteil wegen Kaperei
Die Briten gelten im amerikanischen Bürgerkrieg als neutrale Nation, unterstützen inoffiziell aber die Südstaaten. So wird im Auftrag der Konföderierten die von einem britischen Kapitän befehligte "Alabama" angeheuert, die vor der US-Küste auf jedes Schiff zielt, das unter der Flagge der Nordstaaten fährt. Rund 60 Schiffe der Union fallen dem britischen Kaperer zum Opfer. Der eklatante Verstoß gegen die Pariser Deklaration kommt vor ein internationales Schiedsgericht in Genf und wird 1872 mit einem klaren Schuldspruch geahndet. Großbritannien muss an die amerikanischen Nordstaaten Schadenersatz in Höhe von 15,5 Millionen Dollar in Gold zahlen.
Bis zum Ersten Weltkrieg unterzeichnen mehr als 50 Nationen die Deklarationen über das Seerecht. Die USA allerdings, erste Nutznießer des Abkommens, verweigern ihre Unterschrift – bis zum heutigen Tag.
Stand: 16.04.2011
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"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.05 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 16. April 2011 ebenfalls an die Ächtung der Kaperei. Auch das "Zeitzeichen" gibt es einen Monat lang als Podcast.