Rütli-Hauptschule Berlin Neukölln

Stichtag

30. März 2006 - "Brandbrief" der Rütli-Hauptschule wird öffentlich

"Türen werden eingetreten, Papierkörbe als Fußbälle missbraucht, Knallkörper gezündet und Bilderrahmen von den Flurwänden gerissen", schreiben die Lehrer der Rütli-Hauptschule in Berlin-Neukölln Anfang März 2006 in einem Brief, der zunächst für die Schulaufsicht bestimmt ist. "Einige Kollegen gehen nur noch mit dem Handy in bestimmte Klassen, damit sie über Funk Hilfe holen können." Ein geordneter Unterricht sei an der Schule, an der mehr als 80 Prozent der Schüler ausländischer Herkunft sind, nicht mehr zu organisieren.

Die Lehrer kritisieren als Ursache der Missstände eine verfehlte Integrationspolitik, die zur Ghettobildung führe: "Sie sind unter sich und lernen Jugendliche, die anders leben, gar nicht kennen." So werde der Intensivtäter zum Vorbild. Zudem stellen die Lehrer das gegliederte Schulsystem in Frage: Die Hauptschule sei "am Ende der Sackgasse angekommen, und es gibt keine Wendemöglichkeit mehr". Sie müsse "zugunsten einer neuen Schulform mit gänzlich neuer Zusammensetzung" aufgelöst werden. "Hauptschule isoliert sie, sie fühlen sich ausgesondert", schreiben die Lehrer über ihre Schüler.

Unsachliche Berichterstattung?

"Wir haben diesen Brief für das Schulamt geschrieben", sagt Lehrerin Birgit Braun rückblickend. Er sei ursprünglich nicht für die Medien bestimmt gewesen. Als dem Kollegium jedoch signalisiert worden sei, der Hilferuf verschwinde bloß in der Schublade, wurde er am 30. März 2006 veröffentlicht. Schulsenator Klaus Böger (SPD) räumt daraufhin ein, dass er über den "Brandbrief" nicht informiert war und von der Situation erst aus der Zeitung erfahren hat.

Der Fall macht bundesweit Schlagzeilen. Der kommissarische Leiter der Rütli-Hauptschule, Helmut Hochschild, beklagt sich über unsachliche Berichterstattung. Er war kurzfristig für die erkrankte Schulleiterin eingesprungen. Bezeichnungen wie "Hassschule" seien - trotz der Probleme - "absolut unzutreffend". Nach Aussagen von Schülern hätten Journalisten ihnen Geld für Geschichten über Gewalt- und Drogenexzesse geboten. Hochschild widerspricht der Darstellung, die Lehrer hätten um die Auflösung der Schule gebeten.

Protest ermöglicht Modellprojekt

Ein Jahr nach dem Brandbrief wird ein neues Konzept in Angriff genommen. Unter der Bezeichung "Campus Rütli" entsteht auf 48.000 Quadratmetern eine ganze Bildungslandschaft: Die Hauptschule schließt sich mit einer Realschule, einer Grundschule und zwei Kindergärten zu einer Gemeinschaftsschule zusammen. Auf dem Gelände sollen auch eine Ausbildungsstätte, eine Sporthalle, eine Volkshochschule und ein Elterncafé angesiedelt werden. Der Berliner Senat investiert in das Modellprojekt rund 27 Millionen Euro. Unter Pädagogen gilt das, was in der Zwischenzeit aufgebaut worden ist, als "Wunder von Neukölln". "Durch diesen Brandbrief sind Aktivitäten in Gang gesetzt worden, die ohne den Brief nicht passiert wären", sagt Lehrerin Braun.

Stand: 30.03.2011

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