Der ahnungslose Taxifahrer glaubt sich plötzlich im Märchen aus 1001 Nacht. Ausgerechnet mit einem Goldbarren will ein veritabler Scheich seine Taxifahrt bezahlen. Das verursacht natürlich Probleme mit dem Wechselgeld. "Du geben mir Wagen und Frau", schlägt der Scheich dem verdutzten Fahrer vor. Der macht große Augen und antwortet: "Das ist ja schön!"
Fettnäpfchen-Filme wie die mit dem Scheich, mit der Isetta, die Sprit schluckt wie ein Zwölfzylinder oder dem befrackten Gentleman, der aus dem Gully klettert und nach der U-Bahn fragt, sind auch nach 50 Jahren Erfahrung mit versteckter Kamera noch Klassiker des Verlade-Genres. Ausgeheckt und moderiert hat sie der britische Komik-Vogel Chris Howland, als selbsternannter "Mr. Pumpernickel" bundesweit beliebt. Am 18. Juli 1961 präsentiert der radebrechende Plattenjockey des WDR-Hörfunks die erste Ausgabe von "Vorsicht Kamera", der Mutter aller "Verstehen Sie Spaß"-Formate in Deutschland.
Komik des Absurden
Auf eigenes Risiko hat Howland die Rechte an der Ulk-Sendung in England erworben. Die Idee stammt ursprünglich vom amerikanischen Entertainer Allen Funt, der das US-Publikum bereits 1948 mit der "Candid Camera" amüsierte. Howland produziert mit seinem Freund Helli Pagel als Lockvogel eine Pilotsendung, die beim Fernseh-Chef des WDR gut ankommt. Trotz der noch klobigen, schwer zu verbergenden Kamera und schlechten Mikrofonen gelingt es den beiden Spaßvögeln, nichts ahnende Passanten in unglaubliche Situationen zu locken und mit absurd-komischen Dialogen aufs Glatteis zu führen. "Beobachtungen von und mit Chris Howland" lautet anfangs mit britischem Understatement der Untertitel von "Vorsicht Kamera".
Der Vizekanzler als Spaßbremse
Den Zuschauern gefällt das respektlose Spiel mit der Schadenfreude auf Anhieb: Sie belohnen Howland mit Einschaltquoten von über 60 Prozent. Seine Späße mit den ach so naiven Mitmenschen sind Straßenfeger, über die sich am folgenden Tag ganz Deutschland krumm lacht. In die Begeisterung mischen sich aber auch empörte Stimmen. Sie sehen die Intimsphäre der unfreiwilligen Hauptdarsteller verletzt und beklagen üble Scherze mit der Hilfsbereitschaft. Sogar FDP-Chef und Vizekanzler Erich Mende macht sich als Mitglied des WDR-Rundfunkrats zum Sprachrohr der Moral-Wahrer.
Als sich gar der Rechtsausschuss des Bundestages mit den Vorwürfen gegen die versteckte Kamera beschäftigt, tritt der WDR auf die Spaßbremse. Mit der offiziellen Begründung, das Publikum reagiere zunehmend gelangweilt und Howland falle nichts mehr ein, nimmt der Sender "Vorsicht Kamera" 1966 nach 30 Ausgaben aus dem Programm. Politische Einflussnahmen auf die Entscheidung habe es nicht gegeben, heißt es. Kurz darauf erklärt der Bundestag die Verlade-Show für "rechtlich unbedenklich" - zum Glück für eine ganze Generation von TV-Stars, die nach Chris Howland auf allen Kanälen mit versteckter Kamera auf Quotenfang gehen.
Stand: 18.07.2011
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