Die Hafenstädte Durrës in Albanien und Bari in Süditalien liegen nur 80 Kilometer voneinander entfernt. Der schmale Streifen Mittelmeer trennt jahrzehntelang die östliche von der westlichen Hemisphäre: den Kommunismus vom Kapitalismus. In Albanien herrscht lange Zeit das stalinistische Regime von Enver Hodscha. Die Bevölkerung lebt verarmt, unterdrückt und von der Welt isoliert - bis zum Zerfall der Sowjetunion Anfang der 1990er Jahre, in dessen Folge auch das albanische Regime zusammenbricht. Als im März 1991 die kommunistische Albanische Arbeiterpartei bei den Wahlen zum Sieger erklärt wird, sind viele Albaner enttäuscht. Ihre Hoffnung auf politische Reformen und eine verbesserte Versorgungslage hat sich zerschlagen. Zwischen 25.000 und 32.000 Albaner - die Angaben über ihre Anzahl schwanken - fliehen über das Meer und gelangen nach Italien. Dort setzen ihnen die Behörden eine Frist bis Ende Juli, sich Arbeit zu suchen oder Asyl zu beantragen. Andernfalls würden sie nach Albanien zurückgeschickt.
Regierung in Rom ändert ihre Politik
Anfang August entscheiden die italienischen Behörden, die noch in Lagern untergebrachten rund 10.000 Albaner vorerst nicht abzuschieben. Kurz darauf ändert Italien allerdings seine Politik: Am 8. August 1991 läuft der schrottreife Frachter "Vlora" in den Hafen von Bari ein. An Bord drängen sich rund 10.000 albanische Flüchtlinge. Die Regierung unter Ministerpräsident Giulio Andreotti reagiert schnell: Keiner darf bleiben. Doch die "Vlora" ist seeuntüchtig. Trotzdem müssen die Emigranten auf dem überladenen Schiff ausharren. Als es zu Krawallen kommt und einige mit Selbstmord drohen, beschließt die italienische Küstenwache, die Flüchtlinge in ein Fußballstadion zu sperren, bis ihre Abschiebung geregelt ist. Über den Köpfen der erschöpften Menschen kreisen Polizeihubschrauber. Später werden über dem Stadion Lebensmittelpakete abgeworfen.
Amnesty: Flüchtlingskonvention wurde verletzt
Das italienische Parlament bewilligt Aufbauhilfe für Albanien und beschließt, die Flüchtlinge mit Schiffen und Flugzeugen zurückzutransportieren. Innerhalb von zwei Wochen wird der Plan umgesetzt. Amnesty International kritisiert das Vorgehen. Aus Sicht der Menschenrechtsorganisation sind "eindeutig internationale Bestimmungen zur Genfer Flüchtlingskonvention verletzt worden, weil keine Einzelfallprüfung stattgefunden hat."
Doch die Flucht geht weiter: Viele Albaner versuchen erneut, die Adria zu überqueren - obwohl Schiffe mit albanischen Passagieren italienische Häfen nicht mehr anlaufen dürfen. Die illegale Überfahrt nach Italien wird ein neuer, lukrativer Geschäftszweig der Organisierten Kriminalität. Albanische Schlepperbanden und italienische Mafia arbeiten Hand in Hand. Im Gegenzug rüstet die italienische Küstenwache auf - mit finanzieller Hilfe der europäischen Nachbarländer, die sich um die Sicherung der EU-Außengrenzen sorgen. Mittlerweile leben knapp eine halbe Million Albaner regulär in Italien. Ihre Zahl ist seit einigen Jahren konstant.
Stand: 08.08.2011
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"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.05 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 8. August 2011 ebenfalls an die Ankunft des Flüchtlingsschiffs "Vlora" in Süditalien. Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.