Jean-Jacques Rousseau

Stichtag

28. Juni 1712 – Geburtstag von Jean-Jacques Rousseau

"Ich beginne ein Unternehmen, welches beispiellos dasteht und bei dem ich keinen Nachahmer finden werde. Ich will der Welt einen Menschen in seiner ganzen Naturwahrheit zeigen, und dieser Mensch werde ich selber sein." So beginnt Jean-Jacques Rousseau, Philosoph und Schriftsteller aus Genf, am Ende seines Lebens seine Bekenntnisse, die Confessions, eine der berühmtesten Autobiografien in der Geschichte Europas. Und schreibt weiter: "Meine Natur ist von der aller, die ich gesehen habe, verschieden ... Bin ich auch nicht besser, so bin ich doch anders." Für seine philosophischen Gedanken voller Pathetik und Gefühl wird er verehrt und verdammt. Entgegen dem Zeitgeist misst er den Empfindungen einen ebenso hohen Stellenwert bei wie der Vernunft. Prägend für seine Philosophie ist ein glücklicher, natürlicher Urzustand, den er der Zivilisation entgegenstellt. Der Mensch, so Rousseau, sei von Natur aus gut. Erst die Gesellschaft, in die er hineinwächst, beraube ihn seiner freundlichen Anlagen, mache ihn böse. Auf langen Fußmärschen, die Rousseau seit seiner Kindheit unternimmt, findet er zu sich selbst und schreibt: "Die Majestät der Bäume, die mich mit ihren Schatten decken, die Zartheit der Sträucher, die Mannigfaltigkeit der Kräuter und Blumen zu meinen Fußen: Sie regen meinen Geist bald zur Betrachtung, bald zur Bewunderung an!" Seine Schriften sind romantisch, bevor der Gattungsbegriff überhaupt geprägt wird; sind - Jahrzehnte vor dem Sturm auf die Bastille - revolutionär.

"Ich plauderte gern, aß viel, log auch bisweilen"

Am 28. Juni 1712 kommt Jean-Jacques Rousseau als Sohn eines gebildeten und belesenen Uhrmachers in Genf zur Welt, seine Mutter stirbt wenige Tage nach der Geburt. "Ich kostete meine Mutter das Leben, und meine Geburt war mein erstes Unglück", schreibt er. Über seine Kindheit heißt es in den Confessions: "Ich hatte die Fehler meines Alters: ich plauderte gern, aß viel, log auch bisweilen. Ich wäre im Stande gewesen Obst, Bonbons, Eßwaren zu stehlen; aber nie habe ich Freude daran gefunden, Jemandem ein Leid zuzufügen … oder arme Thiere zu quälen. Ich erinnere mich jedoch, einmal den Topf einer unserer Nachbarinnen, einer Frau Clot, während sie dem Gottesdienste beiwohnte, verunreinigt zu haben." Von seinem Vater sorgsam und liebevoll erzogen, verlässt er seine Geburtsstadt jedoch ohne eine vollendete Ausbildung und lebt ab 1732 bei seiner Geliebten und mütterlichen Freundin Madame de Warens im französischen Annecy. In den fünf Jahren an ihrer Seite eignet er sich autodidaktisch eine umfassende Bildung an: Er liest, musiziert, macht naturwissenschaftliche Experimente und schreibt. In Paris kommt Rousseau mit Denis Diderot und dem Kreis der Enzyklopädisten in Kontakt und schafft 1749 den Durchbruch: Für die Encyclopédie verfasst er einige musikwissenschaftliche Artikel und beantwortet die Preisfrage der Akademie zu Dijon, "ob der Fortschritt der Wissenschaften und Künste zur Läuterung der Sitten beigetragen hat". Seine Antwort unter dem Titel Discours über die Wissenschaften und die Künste von 1750 trägt ihm den Preis der Akademie ein und macht ihn schlagartig berühmt. Rousseau argumentiert, der allgemeine Fortschritt habe die Menschen keineswegs besser gemacht, sondern sie von sich selbst entfremdet.

Voltaire lästert über Rousseau

Weitere Schriften wie Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleicheit unter den Menschen oder der sentimentale Briefroman Julie oder die Neue Heloise begeistern viele Leser. Behörden und Kirche, den Privilegierten und zeitgenössischen Denkern jedoch missfällt seine Kritik am Fortschrittsglauben. Nach und nach zerstreitet sich Rousseau mit vielen Weggefährten, auch den Enzyklopädisten. Der Philosoph Voltaire nimmt Rousseaus Gesellschaftskritik auseinander: "Die Philosophie eines Bettlers, der die Reichen durch die Armen bestohlen sehen möchte. Wer es liest bekommt Lust, auf allen Vieren zu gehen." Doch hinter Rousseau versammeln sich auch zahlreiche Sympathisanten und Gönner. Beliebt zum Beispiel sind seine Ansichten über die freie Kindheit: "Liebt die Kinder, begünstigt ihre Spiele, ihren liebenswürdigen Instinkt. Sorgt dafür, dass sie nicht sterben werden, ohne das Leben genossen zu haben." Doch er selbst gibt alle fünf Kinder, die seine Lebensgefährtin Thérèse Levasseur in den ersten Jahren des Zusammenlebens zur Welt bringt, ins Pariser Findelhaus. Seinen Kritikern entgegnet Rousseau: "Wie könnte ich den Beruf des Schriftstellers ausüben, wenn lärmende Kinder mir die Ruhe des Geistes raubten?"

Erst die Revolutionäre überführen Rousseau ins Panthéon

Seine beiden letzten Bücher, Emile oder über die Erziehung und Vom Gesellschaftsvertrag, werden vom Parlament verboten, vom Pariser Erzbischof verurteilt, in seiner Heimatstadt Genf verbrannt: In ihnen wirbt Rousseau für eine Art zivile Religion und ein undogmatisches Christentum. Wegen zweier Haftbefehle flieht er in die Schweiz, dann nach England. Nach vielen Verfolgungen, Anfeindungen und Niederlagen lebt Rousseau, verzagt und ängstlich, von den Behörden geduldet, wieder bei Paris. "Ich habe den Menschen die Wahrheit gesagt. Sie haben sie schlecht aufgenommen. Und nun sage ich nichts mehr", schreibt er. Jean-Jacques Rousseau, der seit Jahren an einem Blasenschwäche leidet, stirbt am 2. Juli 1778 im Alter von 66 Jahren. Kurz zuvor hat er nach über 30 Jahren Partnerschaft Thérèse Levasseur geheiratet, was ihr eine Ehrenpension des französischen Nationalkonvents sichert. Sechzehn Jahre später, 1794, überführen die Revolutionäre die Gebeine ihres Helden Rousseau ins Pariser Panthéon, der Ruhmeshalle Frankreichs. In der Krypta steht gegenüber seinem Sarg ausgerechnet die Büste des ehemaligen Widersachers Voltaire.

Stand: 28.06.2012

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