Ob römische Brunnen, frühkeltische Siedlungsspuren oder ein Gemälde von Rubens - alle diese Dinge lassen sich seit einer Entdeckung von Andrew E. Douglass jahrgenau datieren. Der Amerikaner gilt als Begründer der sogenannten Dendrochronologie - der Wissenschaft, die anhand der unterschiedlichen Breiten der Jahresringe von Bäumen das Alter ihres Holzes feststellt.
Geboren wird Andrew Ellicot Douglass am 5. Juli 1867 in Windsor im US-Bundesstaat Vermont. Doch bevor er zum Dendrochronologen wird - das Kunstwort setzt sich aus den griechischen Bezeichnungen für Baum (dendron), Zeit (chronos) und Lehre (logos) zusammen -, ist er Astronom und interessiert sich für Sonnenflecken. Douglass will wissen, ob die dunklen Flecken, die im Durchschnitt alle elf Jahre auf der Sonnenoberfläche zu beobachten sind, das irdische Klima beeinflussen. Lange zurückreichende Wetteraufzeichnungen stehen ihm jedoch nicht zur Verfügung. Aber ihm ist bekannt, was Leonardo da Vinci bereits im 15. Jahrhundert gewusst hat: "Ringe in den Stümpfen abgesägter Bäume zeigen die Anzahl der Jahre und - entsprechend ihrer Dicke - die Jahre, die mehr oder minder trocken waren."
Von Sonnenflecken und Indianer-Siedlungen
Von seinem Chef erhält Douglass den Auftrag, in Arizona den Bau eines Observatoriums zur Himmelsbeobachtung zu begleiten. Dabei werden zahlreiche mächtige Bäume gefällt. Es sind sogenannte Ponderosa-Kiefern, die bis zu 500 Jahre alt werden können. Douglass vermisst deren Jahresringe mit Hilfe einer Lupe und stellt fest, dass die Bäume jeweils dasselbe Muster aufweisen und somit synchron wachsen. Die Jahresringe der Ponderosa-Kiefern lassen sich also wie eine Klima-Aufzeichnung lesen.
Jahre seines Lebens versucht Douglass, Baumringe und Sonnenflecken in Übereinstimmung zu bringen. Das gelingt aber nicht: "In den Jahresringen hat er diese Rhythmik, diesen elfjährigen Zyklus nicht entdecken können", sagt Dieter Eckstein, Professor für Baumbiologie. Dafür entdeckt Douglass etwas anderes. In der Gegend untersuchen Archäologen alte Indianersiedlungen und versuchen, das Alter der Ruinen zu bestimmen. In den Siedlungen wird auch Holz gefunden, das die Indianer verbaut haben. Douglass hat nun die Idee, die Jahresringe noch lebender Bäume mit den Jahresringen dieses Holzes zu vergleichen. Das Ergebnis: Die Jahresringe der Bäume aus den Indianer-Siedlungen überlappen sich zeitlich mit denen lebender Bäume. Beim Zurückzählen zum innersten Ring gelangt Douglass in das Jahr 1237. Jetzt gibt es ein definiertes Zeitgerüst, auf dessen Basis der Wissenschaftler feststellt, dass alle Siedlungen vor 1260 existiert haben und danach aufgegeben worden sind.
Längste Chronologie reicht 12.500 Jahre zurück
Was bei Holz aus Indianersiedlungen funktioniert, das geht auch anderswo. Man muss sich "nur" jeweils von einem schon datierten Holz zum nächst-älteren zurücktasten. Forscher haben nach Douglass' Vorbild Jahresring-Chronologien unterschiedlicher Baumarten in unterschiedlichen Regionen erstellt. So kann das Alter von Geigen, die in der Regel aus Fichte sind, durch einen Vergleich der Jahresringe exakt datiert werden. Für ein Rubens-Gemälde benötigt man in der Regel eine Chronologie aus europäischem Eichenholz, da der Maler vorwiegend auf Eiche gemalt hat. "Damals war Holz noch der bevorzugte Malgrund", so Eckstein.
Die am längsten zurückreichende Jahresring-Chronologie ist heute die der europäischen Eiche. Sie reicht 12.500 Jahre zurück und ermöglicht es auch, prähistorische Pfahlsiedlungen zu datieren. Douglass' Chronologie der amerikanischen Ponderosa-Kiefer reicht am Ende seines Lebens immerhin schon bis ins Jahr 700 zurück. Er stirbt am 20. März 1962 in Tucson im US-Bundesstaat Arizona im Alter von 94 Jahren.
Stand: 05.07.2012
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