J.F. Kennedy an seinem Schreibtisch

Stichtag

16. Oktober 1962 - Kuba-Krise beginnt

Gegen neun Uhr morgens blickt der US-Präsident John F. Kennedy auf Luftbilder. "Dies ist das Ergebnis einer Aufnahme vom Sonntag, Sir. Dort, auf West-Kuba, befindet sich eine Station zum Abschuss von Mittelstreckenraketen", erklärt ein General am Dienstag, 16. Oktober 1962.  Gebaut wurden die Rampen von der Sowjetunion unter Führung des russischen Regierungschefs Nikita Chruschtschow. Militärisch sind die Abschussrampen im Grunde  unbedeutend: Ob im Ernstfall Atomraketen von Kuba oder von einem U-Boot aus Richtung USA abgeschossen werden, ist unerheblich. Doch Kennedy weiß um die Symbolik der Raketen, die nur rund 300 Kilometer vor Florida liegen. Die Kuba-Krise beginnt, 13 Tage, in denen die beiden Weltmächte USA und Sowjetunion um die Vorherrschaft ringen und ein Atomkrieg droht.

Kennedy droht Sowjetunion mit Vergeltungsschlag

Kennedys Generäle wollen sofort gegen die Sowjetunion losschlagen."Vor allem Air-Force-General Curtis E. LeMay. ... Er nannte die Sowjets immer den Bären. Er sagte: 'Der Bär hat seinen Fuß in die Karibik gesetzt, jetzt reißen wir ihm das Bein ab bis rauf zu den Eiern.' Dann sagte er: 'Lass uns seine Eier auch noch abreißen.'" So erinnert sich Dino Brugioni, damals CIA-Mitarbeiter.

Doch der Präsident lässt zunächst eine Seeblockade errichten, die offiziell "Quarantäne" heißt. In einer Fernsehansprache am 22. Oktober 1962 droht er Chruschtschow: "Es ist die Absicht dieser Nation, jede Rakete, die von Kuba aus gegen jedwede Nation der westlichen Hemisphäre abgefeuert wird, als Angriff der Sowjetunion auf die Vereinigten Staaten zu werten, dies würde einen vollen Vergeltungsschlag gegen die Sowjetunion zur Folge haben." Die Amerikaner glauben sich militärisch führend. Sie besitzen 17 Mal so viele Atomsprengköpfe wie die Sowjetunion. Einige Mitglieder des US-Krisenstabs glauben gar, die Raketen auf Kuba seien überhaupt nicht nuklear bestückt. Tatsächlich unterschätzen sie die Russen: 42.000 Sowjetsoldaten sind während der Krise bereits auf Kuba stationiert - und vor Ort lagern 134 Atomsprengköpfe, die ohne technische Sicherungen von den russischen Kommandanten vor Ort hätten abgefeuert werden können.

Fidel Castro: "Chruschtschow ist ein Freund"

Die Kuba-Krise ist die Eskalation eines Konflikts, der bereits drei Jahre zuvor beginnt. Der Revolutionär Fidel Castro siegt 1959 in Kuba mit seinen Guerilla-Kämpfern gegen den Diktator Fulgencio Batista. Kuba wird ein unabhängiger Staat mit kommunistischer Ausrichtung. Als US-Präsident Dwight D. Eisenhower auf Konfrontationskurs zu Kuba geht und auch keinen Zucker mehr von der Insel kauft, wendet Fidel Castro sich an die zweite Weltmacht, die Russen. "Was sollen wir Ihrer Meinung nach tun? ... Sie nehmen uns unser Zuckergeschäft. Chruschtschow aber kauft Zucker. Ihre Führer hier sprechen von Angriffen auf Kuba. Chruschtschow spricht von einer Verteidigung Kubas. ... Chruschtschow ist ein Freund", erklärt Castro 1960 in New York. Solche Sätze sind eine permanente Provokation für den nächsten US-Präsidenten, John F. Kennedy. Bei seinem Amtsantritt 1960 hat er den Plan vorgefunden, Castro durch eine Invasion von Exil-Kubanern zu stürzen. Die sogenannte Schweinebucht-Invasion findet im April 1961 statt, scheitert und bringt der erst 90 Tage jungen US-Regierung heftige Kritik in In- und Ausland ein.

Nikita Chruschtschow wiederum ärgert, dass die USA 1959 Atomraketen in der Türkei stationiert haben. Er will gleichziehen und lässt im Sommer 1962 heimlich Atomraketen auf Kuba stationieren. "Das war, wenn man so will, russisch Roulette", sagt der Historiker Bernd Greiner, Autor des Buches "Die Kuba-Krise" und Honorarprofessor für außereuropäische Geschichte an der Universität Hamburg. "Denn zu glauben, man könne auf Kuba Atomraketen stationieren, ohne dass die Amerikaner das zeitnah mitbekommen, das war schon eine abenteuerliche Unterstellung."

Kompromiss zwischen Kennedy und Chruschtschow

Doch auf diplomatischem Wege vereinbaren Kennedy und Chruschtschow schließlich einen Kompromiss und verhindern den drohenden Weltkrieg: Wenn die Sowjets ihre Raketen aus Kuba abziehen, verzichten die USA auf eine neuerliche Invasion der Insel und ziehen ihre Atomraketen aus der Türkei ab – jedoch heimlich, damit die USA nicht vor aller Welt brüskiert dastehen. Am 28. Oktober, 13 Tage nach Ausbruch der Krise, kommt die Meldung über Radio Moskau: "Premierminister Chruschtschow hat heute an Präsident Kennedy eine Botschaft geschickt. Der Kreml-Chef hat angeordnet, die Raketenstellungen in Kuba abzubauen und die Raketen in die Sowjetunion zurück zu transportieren."

Kuba-Krise ist kein Wendepunkt im Kalten Krieg

In der Kuba-Krise siegt also die Vernunft. Doch sie ist kein Wendepunkt im Kalten Krieg, die Folgen sind für beide Weltmächte verheerend. Nikita Chruschtschow steht in der Weltöffentlichkeit zunächst als Verlierer da. Unter seinem Nachfolger Leonid Breschnew legt die Sowjetunion das größte Rüstungsprogramm in Friedenszeiten auf und zieht binnen zehn Jahren beim Atomwaffenbesitz gleich mit den USA. "Für dieses nukleare Crashprogramm hat man einen fürchterlichen wirtschaftlichen Preis bezahlt. Es gibt viele Historiker und Ökonomen, die behaupten, dass der wirtschaftliche Ruin der Sowjetunion ... dort seinen Ursprung hat", so der Historiker Bernd Greiner.

Auch die USA verlieren auf lange Sicht. Nach dem Erfolg in der Kuba-Krise, glauben sie mit ähnlichen Mitteln anderen Konflikte in der Dritten Welt beizukommen, und lösen mehrere Stellvertreterkriege aus, zum Beispiel in Vietnam. "Man hat sich auf tragische Weise geirrt", sagt Greiner.

Stand: 16.10.2012

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