Um Punkt 20 Uhr betritt ein Unbekannter die deutschen Wohnzimmer und wird in den nächsten 30 Jahren immer wiederkehren: Eduard Zimmermann, 1,75 Meter groß, Geheimratsecken, grauer Anzug. Am Freitag, den 20. Oktober 1967, wird die ZDF-Sendung "Aktenzeichen XY ... ungelöst" zum ersten Mal ausgestrahlt. "Den Bildschirm zur Verbrechensbekämpfung einsetzen" - so erklärt Eduard Zimmermann das Anliegen von "Aktenzeichen XY – ungelöst" in der ersten Sendung. Zehn Mal im Jahr bittet Zimmermann, Erfinder und Moderator der Reihe, von nun an um Hilfe: Ungeklärte Fälle der Polizei sollten mit Hilfe der Zuschauer gelöst werden. Seit Beginn der Sendung wurden Verbrechen in über 450 weiteren Aktenzeichen XY-Sendungen verfolgt. Viele Bundesbürger wachsen mit Eduard Zimmermann auf, der die Sendung 30 Jahre lang bis 1997 moderiert. Von 1968 bis 2003 sind auch der österreichische ORF und der Schweizer Fernsehen an der Produktion beteiligt.
Gruseln, Verbrechen und der Einbruch des Bösen in die heile Welt
Mit "Aktenzeichen XY ... ungelöst" beginnt die erste Reality-Show im deutschen Fernsehen. In jeder Sendung werden drei bis fünf unaufgeklärte Kriminalfälle filmisch rekonstruiert. "In einer ruhigen Wohngegend am Rand der Stadt wird in wenigen Minuten ein furchtbares Verbrechen stattfinden", heißt es in der Sendung. Oder: "Es beginnt die schrecklichste Nacht ihres Lebens." Und: "Vermutlich ist bereits in dieser Nacht ihr Mörder bei ihr gewesen." Via Bildschirm erleben die Zuschauer Gruseln, Verbrechen und den Einbruch des Bösen in ihre oftmals heile Welt. Sendung um Sendung sehen die Zuschauer wie Einfamilienhäuser ausgeräumt, Juwelierehepaare ermordet werden und junge Mädchen das Per-Anhalter-Fahren mit dem Leben bezahlen. Redaktion und Kriminalpolizei erhoffen sich Hinweise der Zuschauer; ihnen werden in der Sendung Personenfotos, Phantombilder oder Abbildungen markanter Gegenstände gezeigt. "Sie können uns natürlich hier selbst im Studio anrufen. Schließlich können Sie auch die Bilder der gezeigten Personen von ihren Bildschirmen abfotografieren. Es könnte ja immerhin sein, dass Ihnen morgen der ein oder andere der Gesuchten über den Weg läuft", erklärt Eduard Zimmermann.
"Redaktion ist keine Ersatzpolizei"
Andere Medien kritisieren das Sendekonzept. Die Münchener Abendzeitung schreibt:"Diese Menschenjagd per Bildschirm ist gefährlich, weil sie an das in uns appelliert, das wir lieber nicht wieder erweckt sehen wollen." Heinrich Böll nennt die Sendung "ein muffiges Grusical für Spießer" und der Spiegel kommentiert: "Die Treibjagd mit moralischem Alibi ist eröffnet." Der Bund Deutscher Kriminalbeamter widerspricht diesen Ansichten vehement und Eduard Zimmermann verteidigt sich: "Wir, die Mitarbeiter dieser Sendung, fangen keine Verbrecher. Das ZDF und der Österreichische Rundfunk bieten der Kriminalpolizei mit dieser Sendung eine Möglichkeit, gleichzeitig mit mehreren Millionen Menschen zu sprechen. Über diese Möglichkeit verfügt die Kripo sonst nicht. Die Redaktion dieser Sendereihe ist also keine Ersatzpolizei."
Aufklärungsquote von 42 Prozent
Trotz aller Kritik: 20 Millionen Zuschauer sehen Zimmermanns "Aktenzeichen XY ... ungelöst" in der Anfangszeit, ein Quotenerfolg. Mittlerweile schalten immer noch fünf Millionen Zuschauer ein. "Kriminalität ist etwas, das die Menschen interessiert. Wir beschäftigen uns mit realen Fällen, bereiten sie so auf, dass sie für jedermann zugänglich werden. Diese Neugier und das Wissen-Wollen, was einem so passieren kann – das übt eine große Faszination auf den Zuschauer aus", sagt die heutige Redaktionsleiterin Ina Maria Reize.
Nicht nur die Quoten machen "Aktenzeichen XY … ungelöst" erfolgreich: Nach sechs Folgen kann Eduard Zimmermann vermelden, dass seine Sendung zur Aufklärung des ersten Mordes beigetragen hat. Mittlerweile liegt die Aufklärungsquote nach Angaben der Redaktion bei 42 Prozent.
Stand: 20.10.2012
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