"Angst essen Seelen auf", "Die Ehe der Maria Braun", "Effi Briest" - diese Filme machen Rainer Werner Fassbinder berühmt. Doch der Regisseur arbeitet auch für das Fernsehen. Zusammen mit dem WDR realisiert Fassbinder Anfang der 1970er eine Familienserie. Sie trägt den "Acht Stunden sind kein Tag". Die erste Folge wird am 29. Oktober 1972 in der ARD ausgestrahlt.
Die Sendung ist von Anfang an umstritten. Fassbinders Konzept unterscheidet sich deutlich von anderen Familienserien. Seine Serie spielt nicht wie damals üblich im Mittelstand oder Großbürgertum, sondern im Arbeitermilieu. Fassbinder zeigt in "Acht Stunden sind kein Tag" das Arbeits- und das Privatleben einer Werkzeugmacher-Familie. Die Hauptfiguren Jochen und Marie werden von Gottfried John und Hanna Schygulla gespielt. Jochen arbeitet als Werkzeugmacher in einer Fabrik, Marion ist in der Anzeigenannahmestelle einer Zeitung tätig. Die beiden verlieben sich ineinander. Prompt wird die bürgerliche Beamtentochter Marion von ihrer Freundin Irmgard gefragt, ob denn eine solche Beziehung auch standesgemäß sei: "Liebst du ihn den wirklich, Marion? Weißt du, genau genommen ist er ja nur ein Arbeiter."
Recherche im Arbeiter-Milieu
Um den Alltag der Arbeiter kennenzulernen, hat der Arztsohn Fassbinder in Fabriken recherchiert - zusammen mit dem WDR-Redakteur Peter Märtesheimer, der Fassbinder als Regisseur vorgeschlagen hat. Beide besuchen die Werkshallen von Ford in Köln, bevor sie die Drehbücher schreiben. "Dann haben wir natürlich mit IG-Metall-Leuten gesprochen", so Märtesheimer, "und sind so langsam an eine Gruppe von Arbeitern und Werkzeugmachern herangekommen, mit denen wir dann mehrere Gespräche hatten."
Fassbinder und Märtesheimer lassen sogar die Drehbücher von ihren Gesprächspartnern gegenlesen. Doch das nützt nicht viel: Die Fabrikarbeiter kritisieren die Serie massiv. Sie finden sich darin nicht wieder. "Fassbinder stellt den Arbeiter so dar: Er prügelt, trinkt und bumst, und sonst ist nicht viel. Bewusstsein ist nicht da", bilanziert ein Fordarbeiter. Es sei unrealistisch, dass Fassbinders Werkzeugmacher ihre Probleme in der Fabrik alle lösen könnten. "Da kommen nie Repressalien von der Geschäftsleitung." Gewerkschaften, Betriebsräte und Vertrauenleute beschweren sich, dass sie in der Serie überhaupt nicht vorkommen. Auch im Feuilleton wird Fassbinder Realitätsferne vorgeworfen. Die Zeitschrift Konkret titelt "Geschminkte Proleten".
"Sprung zu einer schönen Utopie"
Fassbinder entgegnet den Kritikern, dass seine Familienserie nicht die Wirklichkeit abbilde, sondern eine Art Märchen entwerfe: "Es gibt da so einen Sprung zu einer schönen Utopie und nicht zu einer heilen Welt." Zusammen mit Märtesheimer will er den Zuschauern zeigen, dass der Mensch nicht unter dem eigenen Schicksal leiden muss, sondern etwas verändern kann. "Wir wollten ja, dass unsere Figuren - als Helden konzipiert - ihre Probleme selbst in die Hand nehmen."
Nach fünf Folgen wird "Acht Stunden sind kein Tag" abgesetzt. Im Mai 1973 wird bekannt, dass der WDR die Produktion für drei weitere Folgen gestoppt hat.
Stand: 29.10.2012
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